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1. Sonntag nach Trinitatis: Lukas 16,19-31 - noch nicht einmal von den Hunden Barmherzigkeit gelernt
von Johannes Calvin
19 Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. 20 Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären 21 und begehrte, sich zu sättigen von dem, was von des Reichen Tische fiel; doch kamen die Hunde und leckten ihm seine Schwären. 22 Es begab sich aber, daß der Arme starb und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und ward begraben. 23 Als er nun bei den Toten war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. 24 Und er rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich mein und sende Lazarus, daß er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. 25 Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, daß du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, und du wirst gepeinigt. 26 Und über das alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, daß, die da wollten von hier hinüberfahren zu euch, könnten nicht, und auch nicht die von dort zu uns herüber können. 27 Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, daß du ihn sendest in meines Vaters Haus; 28 denn ich habe noch fünf Brüder, daß er sie warne, auf daß sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. 29 Abraham sprach: Sie haben Mose und die Propheten; laß sie dieselben hören. 30 Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. 31 Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, wenn jemand von den Toten auferstünde.
Obgleich Lukas noch ein paar Verse (V. 16-18) einschiebt, so kann doch kein Zweifel bestehen, daß Christus anhand dieses Beispiels seine eben behandelten Worte bekräftigen will. Denn er zeigt, wie es denen geht, die die Fürsorge an den Annen hintansetzen und sich ganz an ihrem Vergnügen berauschen. Sie haben sich der Unmäßigkeil und der Wollust ergeben und lassen ihre Nächsten elend verdursten, ja, sie lassen sie grausam Hungers sterben, wo sie ihnen doch hätten Hilfe bringen sollen, soweit es in ihrem Vermögen stand. Obwohl einigen das einfach ein Gleichnis zu sein scheint, so glaube ich doch, daß der Name Lazarus dafür spricht, daß es sich hier eher um ein Ereignis handelt, das wirklich geschehen ist. Im Übrigen hat das wenig Gewicht, wenn die Leser nur begreifen, was die Geschichte sagen will. Zunächst wird der Reiche eingeführt: Er ist in Purpur und köstliche Leinwand gekleidet und huldigt tagtäglich einem glänzenden Luxus. Die Worte deuten auf ein besonders üppiges Leben, das nur Ausschweifung und Gepränge kannte. Es ist nicht so, daß jeglicher feiner Geschmack in der Kleidung, jeglicher Schmuck Gott zuwider sei oder daß man eine gepflegte Lebenshaltung verurteilen müsse. Aber es kommt doch selten vor, daß in diesen Dingen Maß gehalten wird. Denn wer eine prächtige Kleidung anstrebt, wird seinen Kleiderstaat durch immer neue Zutaten vermehren, und wer üppige, reich gedeckte Tafeln liebt, muß wohl am Ende in Unmäßigkeit verfallen. Doch wird an dem Reichen besonders seine Grausamkeit verurteilt, mit der er den armen Lazarus, der dazu noch mit Geschwüren bedeckt war, draußen vor seiner Tür liegenließ. Denn Christus stellt diese zwei Gegensätze einander gegenüber: Da ist der Reiche, der der Unmäßigkeit und dem Gepränge ergeben ist, wie ein unersättlicher Schlund, der ungeheure Mengen hinunterschlingt und der doch durch die Not und das Elend des Lazarus nicht gerührt wurde, sondern ihn mit Wissen und Wollen vor Hunger, vor Kälte und im Gestank seiner Geschwüre verschmachten ließ. Genauso wirft auch Ezechiel (16, 49) Sodom vor, daß es in seiner Sattheit von Brot und Wein nicht dem Notleidenden die Hand zur Hilfe biete. Das besonders feine Gewebe, das die Orientalen Byssus nannten, pflegten sie bekanntermaßen bei prunkvollen Festen zu gebrauchen. Diese Sitte haben die Päpstlichen für ihre sogenannten Meßbüschel nachgemacht, wenn sie die Messe zelebrieren.
Luk. 16, 21. „Doch kamen die Hunde.“ Jetzt kommt die eherne Roheit des Reichen genügend deutlich zutage daran, daß auch dieser erbärmliche Anblick ihn nicht zum Mitleid bewegen konnte. Denn wenn er auch nur einen Tropfen von Menschlichkeit in sich gehabt hätte, so hätte er doch wenigstens befohlen, daß man dem elenden Mann etwas von den Resten in der Küche gebe, aber hier kommt es zur Spitze der gottlosen und mehr als tierischen Grausamkeit, daß er noch nicht einmal von den Hunden Barmherzigkeit gelernt hat. Zweifellos sind diese Hunde von dem verborgenen Beschluß Gottes so geleitet worden, damit sie ihn durch ihre Tat verdammten. Christus ruft sie sicherlich hier als Zeugen auf, um die verfluchenswerte Härte dieses Mannes aufzudecken. Denn es gibt doch nichts Unnatürlicheres, als daß ein Mensch von Hunden gepflegt wird, weil sein Nächster sich nicht um ihn kümmert. Ja, der Hungrige bekommt nicht einmal Brosamen, während die Hunde ihn mit ihren Zungen belecken, um ihn dadurch zu heilen. Immer also, wenn Fremde oder sogar unvernünftige Tiere an unsere Stelle treten, um einen Dienst zu tun, der von uns verlangt war, sollen wir wissen, daß sie alle uns von Gott dann auch zu Zeugen und Richtern bestellt werden, um unser Vergehen deutlicher an den Tag zu bringen.
Luk. 16, 22. „Es begab sich aber, daß der Arme starb.“ Hier zeigt Christus, wie sehr sich die Lage der beiden nach ihrem Tod veränderte. Den Tod mußten sie zwar beide erleiden; doch nach dem Tod von den Engeln in Abrahams Schoß getragen zu werden ist ein erstrebenswerteres Glück als alle Reiche der Welt. Aber der ewigen Qual übergeben zu werden ist schrecklich, und man würde hundert Leben geben, um sich davon freizukaufen, wenn es nur möglich wäre. Nun wird uns an der Person des Lazarus ein deutlicher Fall dafür vor Augen geführt, daß wir nicht meinen dürfen, einer sei von Gott verflucht, weil er als Kranker sein Leben unter fortwährender Trübsal und Mühseligkeit verbrachte. Denn an Lazarus war Gottes Gnade so verborgen und von seinem häßlichen Leiden und seiner Schmach so verschüttet, daß das Auge des Fleisches nichts als Verfluchung wahrnehmen kann. Doch sehen wir, was für eine kostbare Seele in diesem häßlichen, verfallenen Leib verborgen war, wenn sie von den Engeln in ein glückliches Leben geholt wird. Darum hat es ihm nichts geschadet, daß er allein und verachtet war, von allem menschlichen Trost im Stich gelassen, da ihn doch die himmlischen Geister für würdig befinden, ihm sofort zu Diensten zu stehen, als er den Kerker seines Fleisches verläßt. Auf der andern Seite erkennt man an dem Reichen wie in einem klaren Spiegel, daß zeitliches Glück nicht erstrebenswert ist, wenn man es durch das ewige Verderben erkauft hat. Doch muß man darauf achten, daß Christus nur von einem Begräbnis spricht und verschweigt, was man mit dem Lazarus gemacht hat. Es wird nicht so gewesen sein, daß sein Leichnam den wilden Tieren vorgeworfen wurde und unter freiem Himmel liegenblieb; aber er wurde doch wohl verächtlich und ohne Ehrenbezeigungen in eine Grube geworfen (denn aus dem Gegensatz zu dem Begräbnis des Reichen kann man leicht schließen, daß man dem Toten nicht mehr Liebe erzeigte als dem Lebenden). Dagegen empfängt der Reiche, der mit dem seinen Schätzen entsprechenden Aufwand begraben wurde, noch einen letzten Rest seiner vergangenen Lebenshaltung. Denn in dieser Hinsicht beobachten wir, daß gottlose Menschen sich irgendwie ihrem natürlichen Schicksal widersetzen, indem sie mit einem prächtigen Begräbnis und einer prunkvollen Leichenfeier wenigstens ihr Glück überleben lassen wollen. Wie töricht und lächerlich im übrigen dieser Ehrgeiz ist, zeigen sie selbst dadurch, daß ihre Seelen sich in der Unterwelt wiederfinden. Wenn es heißt, Lazarus sei weggetragen worden, so ist das nicht wörtlich zu verstehen. Denn da die Seele der wichtigere Teil des Menschen ist, gebraucht Christus hier mit Recht den Namen des ganzen Menschen für seine Seele. Den Engeln weist Christus dieses Amt nicht von ungefähr zu; denn wir wissen, daß sie den Gläubigen als Diener gegeben sind, damit sie ihr ganzes Sinnen und flachten auf deren Heil richten.
„In Abrahams Schoß.“ Es ist nicht nötig, daß wir uns über den Schoß Abrahams, über den sich schon viele Ausleger der Schrift in mannigfacher Weise Gedanken gemacht haben, länger ergehen, es bringt uns nach meiner Ansicht nicht einmal weiter. Es genügt festzuhalten, was der Leser, der sich gut in der Schrift auskennt, als den ursprünglichen Sinn erkennen wird. Denn wie Abraham darum der Vater der Gläubigen genannt wird, weil ihm der Bund des ewigen Lebens anvertraut wurde, der zunächst in seiner treuen Hut für seine Nachkommen bewahrt wurde und dann an alle Völker weiterging, so daß alle, die die Erben dieser Verheißung sind, seine Söhne genannt werden, so heißt es von denen, die zusammen mit ihm die Frucht des Glaubens empfangen, daß sie nach dem Tode in seinem Schoß versammelt werden. Das Bild des Vaters ist aus dem Familienleben aufgegriffen, wo die Kinder sich gleichsam im Schoß des Vaters zusammenfinden, wenn sie sich abends nach der Tagesarbeit zu Hause versammeln. Während also die Kinder Gottes in dieser Welt verstreut und in der Fremdlingschaft sind, aber doch dem Glauben ihres Vaters Abraham folgen, so finden sie, wenn sie gestorben sind, Erquickung in der seligen Ruhe, in der er sie erwartet. Man braucht sich jedoch nicht einen bestimmten Ort vorzustellen, sondern es wird hier, wie gesagt, nur jene Versammlung der Kinder Abrahams bezeichnet. Die Gläubigen sollen nämlich an diesem Ausdruck erkennen, daß sie nicht vergeblich unter dem Banner des Glaubens Abrahams gekämpft haben, denn sie genießen im Himmel eine entsprechende Ruhstatt. Wenn man fragt, ob heute die Frommen nach ihrem Tode noch in derselben Lage sind oder ob Christus sie kraft seiner Auferstehung in seinen Schoß nimmt, in dem sowohl Abraham selbst wie alle Frommen Ruhe finden, so kann ich kurz antworten: Wie uns die Gnade Gottes durch das Evangelium strahlender aufgegangen ist und Christus selbst als die Sonne der Gerechtigkeit uns das Heil gebracht hat, das die Väter nur von ferne unter dunklen Schatten anschauen durften, so besteht kein Zweifel mehr, daß die Verstorbenen dem Genuß des himmlischen Lebens nähergerückt sind. Doch müssen wir dabei festhalten, daß die volle Herrlichkeit bis zum Jüngsten Tag unserer Erlösung aussteht. Was den Ausdruck betrifft, so kann jener stille Hafen, der die Gläubigen nach ihrer Seefahrt in diesem Leben aufnimmt, Schoß Abrahams wie auch Schoß Christi genannt werden. Da wir aber im übrigen weiter vorangeschritten sind als die Väter unter dem Gesetz, wird dieser Unterschied deutlicher bezeichnet, wenn wir sagen, daß die Glieder Christi zu ihrem Haupt versammelt werden. So wird das Bild vom Schoß Abrahams verblassen, wie der Glanz der Sonne bei ihrem Aufgang alle Sterne erbleichen läßt. Doch läßt sich aus dieser Redeweise, wie Christus sie hier anwendet, erschließen, daß die Väter unter dem Gesetz zu ihren Lebzeiten das Erbe des ewigen Lebens im Glauben ergriffen haben, in das sie nach ihrem Tod aufgenommen wurden.
Luk. 16, 23. „Als er nun bei den Toten war, hob er seine Augen auf.“ Wenn Christus hier auch eine Geschichte erzählt, so schildert er doch geistliche Dinge anhand von Bildern, von denen er weiß, daß sie unserem Verständnis entgegenkommen. Denn die Seelen haben weder Finger noch Augen, noch leiden sie Durst, noch führen sie Gespräche untereinander, wie es hier zwischen Abraham und dem Schlemmer beschrieben wird, sondern der Herr entwirft liier ein Bild, das die Verhältnisse im zukünftigen Leben nach dem bescheidenen Maß unseres Verstehens wiedergibt. Das Ganze will sagen: Nachdem die Seelen der Gläubigen von ihren Leibern Abschied genommen haben, führen sie außerhalb der Welt ein fröhliches, seliges Leben, auf die Verworfenen jedoch warten schreckliche Qualen, die unsere Sinne sich genauso wenig vorstellen können wie die unermeßliche Herrlichkeit des Himmels. Denn wie wir, je nachdem uns der Geist Gottes erleuchtet hat, nur zu einem winzigen Teil kraft der Hoffnung einen Vorschmack der uns verheißenen Herrlichkeit haben, die all unsere Sinne weit übersteigt, so genügt es, wenn wir die unendliche Strafe Gottes, die den Gottlosen bleibt, nur undeutlich erkennen, um von ihr mit Entsetzen erfüllt zu werden. So ist den Worten Christi nur eine schwache Vorstellung von diesen Dingen zu entnehmen, die zudem unsere Neugier zähmen soll: Die Gottlosen leiden gräßlich unter dem Gefühl ihres Elends; sie ersehnen sich irgendeinen Trost, doch die Aussichtslosigkeit auf Hoffnung bereitet ihnen doppelte Qual. Noch mehr werden sie gepeinigt, wenn sie gezwungen werden, sich an ihre Vergehen zu erinnern und die Seligkeit der Gläubigen vor ihren Augen mit ihrer elenden und verlorenen Lage zu vergleichen. Dahin zielt die Schilderung des Gespräches, als ob wirklich eins zwischen ihnen stattgefunden hätte, wo sie doch keinerlei Austausch mehr miteinander haben. Auch darin, daß der Reiche Abraham „Vater" nennt, äußert sich eine andere Seite seiner Qual: er spürt zu spät, daß er sich von der Zahl der Söhne Abrahams losgesagt hat.
Luk. 16, 25. „Gedenke, Sohn.“ Das Wort „Sohn“ scheint ironisch gemeint zu sein als ein scharfer Tadel, der den Reichen treffen mußte, der fälschlich rühmt, im Leben einer von den Söhnen Abrahams gewesen zu sein. Denn als ob seiner Seele ein Brenneisen aufgedrückt würde, so wird sie verwundet, wenn ihr ihre Heuchelei und ihr lügnerisches Vertrauen vor Augen geführt werden. Wenn es jedoch heißt, daß bei den Toten gepeinigt werde, wer sein Gutes schon in der Welt empfangen habe, dann darf man das nicht so auffassen, als ob auf all die das ewige Verderben warte, die in dieser Welt gut und glücklich gelebt haben. Ja, Augustin bemerkt in kluger Weise, der arme Lazarus sei darum in den Schoß des reichen Abraham getragen worden, damit wir erkennen, daß Reichtum niemandem die Pforte zum Himmelreich verschließt, sondern daß sie allen in gleicher Weise offensteht, denen, die sich in Maßen ihres Reichtums bedient, und denen, die ihn geduldig entbehrt haben. Der Sinn ist lediglich: Da er durch die Lockungen des irdischen Lebens ganz in die Vergnügungen der Knie untergetaucht ist und Gott und sein Reich verachtet hat, erwarten ihn jetzt die Strafen für seine Gleichgültigkeit. Darum ist das Fürwort dein betont, als ob Abraham gesagt hätte: Während du zum ewigen Leben geschaffen warst und das Gesetz Gottes dich zur Betrachtung des himmlischen Lebens hätte erheben sollen, hast du einen so großartigen Besitz aus den Augen gelassen und bist lieber wie ein Schwein oder ein Hund geworden. Darum empfängst du nun den angemessenen Lohn für deine stumpfsinnigen Lüste. Wenn es auf der anderen Seite von Lazarus heißt, er werde getröstet, weil er in der Welt viel Schmach erlitten hat, so tut einer albern daran, wenn er das nun auf alle Elenden bezieht, denen ihre Leiden nicht zum Nutzen ausschlagen, sondern sie noch mehr in die äußerste Strafe treiben. An Lazarus wird dagegen das Tragen des Kreuzes gerühmt, das immer aus dem Glauben und einer aufrichtigen Gottesfurcht entspringt. Denn nicht der, der trotzig dem Übel widersteht und unbändig in seinem Eigensinn verharrt, verdient ein Lob für seine Ausdauer, so daß ihm Gott sein Leiden mit seinem Trost vergälte. Darum will das Ganze soviel sagen: Wer geduldig die Last des Kreuzes trägt, die ihm auferlegt ist, und sich nicht gegen das Joch und die Zuchtrute Gottes verhärtet, sondern durch die fortwährenden Schmähungen hindurch der Hoffnung auf ein besseres Leben zustrebt, dem ist im Himmel eine Ruhstatt bereitet, wenn er die Zeit seines Kriegsdienstes abgedient hat. Auf die heidnischen Verächter Gottes dagegen, die sich in die Freuden des Fleisches stürzen und gewissermaßen unter dem Rausch ihrer Sinne alles Trachten nach Frömmigkeit ersticken, warten sofort nach dem Tod die Qualen, die die eitlen Vergnügungen vertreiben. Weiter müssen wir im Gedächtnis behalten, daß dieser Trost, den die Kinder Gottes genießen, darin liegt, daß sie die Krone der Herrlichkeit, die ihnen bereitet ist, vor Augen haben und Frieden finden, wenn sie sie fröhlich anschauen.
So quält auf der anderen Seite die Gottlosen ihre Ahnung von dem kommenden Gericht, das sie bedrohlich vor sich sehen.
Luk. 16, 26. „Zwischen uns und euch ist eine große Kluft befestigt.“ Diese Worte machen deutlich, daß die Lage im kommenden Leben unveränderlich bleibt; er hätte auch sagen können: Die Grenzen, die die Verworfenen von den Erwählten trennen, können niemals durchbrochen werden. So werden wir ermahnt, schleunigst und solange es Zeit ist, auf den Weg zurückzukehren und uns nicht kopfüber in jenen Abgrund zu stürzen, aus dem es kein Auftauchen mehr gibt. Im übrigen darf man nicht wörtlich nehmen, wenn es heißt, dei Durchgang sei dem verwehrt, der vom Himmel zu den Toten hinabsteigen wolle; denn es ist doch klar, daß niemanden von den Frommen ein solches Verlangen ankommen wird.
Luk. 16, 27. „So bitte ich dich, Vater.“ Um die Geschichte unserem Verständnis noch besser zugänglich zu machen, nennt Christus die Bitte des Reichen, daß seine Brüder, die er noch hätte, von Lazarus gewarnt würden. Hier haben die Papisten alberne Beweise geführt, um glaublich zu machen, daß sich die Verstorbenen um die Lebenden kümmern. Es gibt nichts Fauleres als diesen Winkelzug. Denn unter dem gleichen Vorwand bringe ich heraus, daß die Gläubigen mit ihrem Los nicht zufrieden sind, wenn sie nicht die beständige Kluft zu den Toten vor dem Verlangen bewahrt, da hinübergehen zu wollen. Wenn diesen Unsinn niemand anerkennt, dann gibt es auch keinen Grund, daß sich die Papisten so viel auf den andern Einfall einbilden. Doch habe ich nicht vor, streitsüchtig der einen oder der anderen Seite das Wort zu reifen, sondern ich wollte nur beiläufig bemerken, mit welch fadenscheinigen Beweisgründen sie sich vorstellen, daß die Verstorbenen bei Gott Fürsprache für uns einlegen. Ich komme nun zu dem einfachen, echten Sinn dieser Stelle zurück: Christus weist uns anhand des Reichen und des Abraham darauf hin, daß wir auf keinen Fall erwarten dürfen, daß die Verstorbenen auferstehen, um uns zu lehren und zu ermahnen, wo uns die gewisse Regel für unser Leben längst übergeben ist. Denn als Mose und die Propheten lebten, waren sie so zu Lehrern ihrer Zeitgenossen bestellt, daß aus ihren Schriften die gleiche Frucht auch ihren Nachfahren zukomme. Wenn Gott uns auf diese Art zum rechten Leben anweisen wollte, gibt es keinen Anlaß, warum er die Verstorbenen schicken sollte, um über die Belohnungen und Strafen des kommenden Lebens Zeugnis abzulegen. Sie werden ihre Gleichgültigkeit nicht entschuldigen können, weil sie sich unter dem Vorwand gehenlassen, daß sie ja nicht wissen, was außerhalb der Welt getrieben wird. Wir kennen das ruchlose Wort, das bei gottlosen Menschen sein Wesen treibt, oder - besser - dieses Grunzen von Schweinen, daß es töricht sei, sich mit einer ungewissen Furcht zu martern, weil noch nie jemand als Bote aus der Totenwelt zurückgekehrt sei. Uni uns von diesen Betörungen Satans zu heilen, ruft uns Christus zum Gesetz und den Propheten zurück. Es geht nach dem Zeugnis des Mose (Deut. 30, 11 ff.): „Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, daß du sagen müßtest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, daß wir's hören und tun? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, daß du sagen müßtest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, daß wir's hören und tun? Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir in deinem Munde und in deinem Herzen, daß du es tust." Wer darum als Märchen verlacht, was die Schrift von dem zukünftigen Gericht bezeugt, wird es einst noch an sich verspüren, denn jene Gottlosigkeit ist einfach nicht tragbar, die den heiligen Versprechungen Gottes die Glaubwürdigkeit entzieht. Im übrigen scheucht Christus die Seinen aus dieser Schläfrigkeit auf, damit sie sich nicht in der Hoffnung auf straflosen Ausgang täuschen und die Zeit zur Buße verpasssen. Dahin zielt auch die Antwort des Abraham: Da Gott durch Mose und die Propheten seinem Volk die Lehre vom Heil deutlich genug übergeben hat, bleibt nichts weiter übrig, als daß sich alle an ihr genügen lassen. Da das Menschengeschlecht von der schlimmen Krankheit der Neugier tief durchdrungen ist, lechzen die meisten Menschen nach immer wieder neuen Offenbarungen. Da Gott aber nichts mehr zuwider ist, als wenn die Menschen so lüstern ihre Grenzen überschreiten, verwehrt er ihnen, bei Zauberern und Wahrsagern die Wahrheit zu erforschen und nach der Heiden Art trügerische Orakel aufzusuchen. Um aber zugleich ihr Verlangen zu besänftigen, verheißt er ihnen Propheten, bei denen »las Volk lernen soll, was zum Heil nützlich ist (vgl. Deut. 18, 10ff.). Wenn die Propheten nun zu diesem Zweck gesandt wurden, damit Gott sein Volk unter der Zucht seines Wortes halle, so wird jemand, dem diese Erklärung nicht genügt, nicht von Lerneifer getrieben, sondern den kitzelt ein gottloser Mutwille. Darum beklagt sich Gott darüber, daß ihm Unrecht geschehe, wenn die Lebenden nicht ihn allein hören, sondern die Toten befragen (vgl. Jes. 8, 19). Wenn Abraham das Wort Gottes in das Gesetz und die Propheten teilt, so bezieht er sich damit auf die Zeit des Allen Bundes. Jetzt, da die klarere Deutung des Evangeliums gekommen ist, ist unsere Gottlosigkeit um so weniger tragbar, wenn wir uns in Verachtung seiner Verkündigung hierhin und dorthin reißen lassen oder, kurz gesagt, wenn wir uns nicht vom Wort Gottes leiten lassen. Hieraus sieht man auch, wie festgefahren der Glaube der Papisten an das Fegefeuer und derlei dummes Zeug ist, der sich doch nur auf leeren Wahn stützen kann.
Luk. 16, 30. „Nein, Vater Abraham.“ Wieder handelt es sich hier um eine bildliche Vorstellung, in der mehr die Gefühle der Lebenden ausgedrückt werden als die Besorgnisse der Verstorbenen. Denn die Lehre des Gesetzes findet keine Beachtung in der Welt, die Weissagungen liegen brach, und niemand unterzieht sich der Mühe, Gott anzuhören, der in seiner Weise zu uns redet. Die einen wünschen sich, daß Engel vom Himmel herniedersteigen, die andern, daß die Verstorbenen aus den Gräbern aufstehen, die dritten wollen durch immer wieder neue Wunderzeichen bestätigt sehen, was sie hören, die vierten möchten, daß Stimmen aus der Luft ertönen. Auch wenn Gott übrigens all diesen verschrobenen Wünschen nachgekommen wäre, so hätte das doch kein Weiterkommen bedeutet. Denn einmal hat Gott bereits in seinem Wort all das zusammengefaßt, was uns nützlich zu wissen war, und zum andern ist die Glaubwürdigkeit dieses Wortes durch rechtmäßige Zeichen bezeugt und bestätigt worden. Ferner hängt der Glaube ja nicht an Wunderzeichen oder an irgendwelchen Ungeheuerlichkeiten, sondern er ist ein besonderes Geschenk des Geistes und wird aus dem Wort geboren. Schließlich ist es das ausschließliche Werk Gottes, wenn er uns zu sich zieht, und er will durch sein Wort wirksam und tätig sein. Darum dürfen wir auf keinen Fall hoffen, daß uns Mittel etwas nützen könnten, die uns doch nur von dem Gehorsam gegenüber dem Wort abziehen. Ich gehe zwar zu, daß es nichts Schlüpfrigeres gibt, als wenn das Fleisch auf nichtige Offenbarungen lauscht; und wir sehen, wie leidenschaftlich sich die in die Schlingen des Satans stürzen, die die gesamte Schrift verachten. Hieraus entspringt die Totenbefragung und ähnliches Blendwerk, die die Welt nicht nur gierig aufgreift, sondern auch mit unvernünftigem Eifer weiter betreibt. Hier stellt Christus lediglich fest, daß die vor der Lehre des Gesetzes Tauben und Widerspenstigen auch von den Verstorbenen nicht zurechtgewiesen oder zu einer vernünftigen Haltung zurückgebracht werden können.
Aus: Otto Weber, Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. Zwölfter Band: Die Evangelien-Harmonie 1. Teil, Neukirchener Verlag, 1966, S. 440ff.
Achim Detmers