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16. Sonntag nach Trinitatis: Johannes 11,1-27.40-44 - Die Auferweckung des Lazarus
von Johannes Calvin
1 Es lag aber einer krank mit dem Namen Lazarus aus Bethanien, dem Dorfe Marias und ihrer Schwester Martha. 2 Maria aber war es, die den Herrn gesalbt hat mir Salbe und seine Füße getrocknet mit ihrem Haar. Deren Bruder Lazarus war krank. 3 Da sandten seine Schwestern zu ihm und ließen sagen: Herr, siehe, den du liebhast, der liegt krank. 4 Da Jesus das hörte, sprach er: Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zu Verherrlichung Gottes, dass der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.
V. 1. „Es lag aber einer krank ...“ Der Evangelist geht zu einer anderen Geschichte über, die ein besonders denkwürdiges Wunder enthält. Abgesehen nämlich davon, daß Christus bei der Erweckung des Lazarus einen einzigartigen Beweis seiner göttlichen Kraft gab, hat er damit zugleich ein lebendiges Abbild unserer zukünftigen Auferstehung uns vor Augen gestellt, und dies war gleichsam der Schlußakt seines Handelns; denn schon nahte die Zeit seines Sterbens. Kein Wunder also, wenn er vornehmlich mit dieser Tat seine Herrlichkeit hat aufleuchten lassen; denn er wollte, die Erinnerung an sie sollte sich am stärksten dem Gedächtnis der Seinen einprägen, so daß sie eine Besiegelung aller früheren sei. Christus hatte schon andere Tote erweckt, aber jetzt zeigte er seine Madit an einem verwesenden Leichnam. Die Umstände aber, die bei diesem Wunder zur Verherrlichung von Gottes Ehre dienen, werden wir an ihrem Ort der Reihe nach berichten. Daß er sagt, Lazarus stamme aus Bethanien, dem Flecken Marias und Marthas, geschieht wahrscheinlich deshalb, weil unter den Gläubigen der Name des Lazarus weniger bekannt war als der seiner Schwestern. Denn jene frommen Frauen pflegten Christus als Gastfreund aufzunehmen, wie es aus Lukas 10, 38 deutlich wird. Es wäre falsch anzunehmen, diese Maria, die Schwester des Lazarus, sei jenes verrufene Weib gewesen, die Lukas 7, 27 erwähnt wird. Der Grund für diesen Irrtum lag in der Salbung. Aber es steht ja fest, daß Christus öfter, und zwar an verschiedenen Orten, gesalbt worden ist. Die Sünderin, von der Lukas berichtet, hat Christus in Jerusalem gesalbt, wo sie auch lebte; Maria aber tat später dasselbe in Bethanien, in ihrem Wohnort. Daß es heißt: sie „salbte“ ihn, darf man zeitlich nicht auf eine Tat beziehen, um die es sich jetzt handelt; sondern die Vergangenheitsform ist bezogen auf die Zeit der Niederschrift, als wollte der Evangelist sagen: es handelt sich um die Maria, die später die Salbe ausgoß, derentwegen sich ein Murren unter den Jüngern erhob (Matth. 26, 7).
V. 3. „... Den du liebhast, der liegt krank.“ Eine kurze Botschaft; aber Christus konnte leicht daraus entnehmen, was die Schwestern von ihm wollten. Denn in diese Klage hüllen sie schüchtern die Bitte, er möge ihnen Hilfe bringen. Wir sollen uns zwar nicht daran hindern lassen, auch längere Bittgebete auszusprechen. Doch der Sinn ist folgender: unsere Sorgen und alles, was uns bedrückt, sollen wir vor Gott bringen, damit er uns Heilung bringen kann. So verfahren diese Frauen auch Christus gegenüber, sie legen ihm ihr persönliches Unglück dar und hoffen danach auf Abhilfe. Zu beachten ist auch, daß sie ihr Zutrauen auf Hilfe aus Christi Liebe schöpfen und daß dies die Richtschnur für rechtes Bitten ist. Wo nämlich Gottes Liebe ist, da ist auch die Rettung gewiß; denn er liebt ja nicht, um die, die er liebt, dann zu verlassen.
V. 4. „... Diese Krankheit ist nicht zum Tode ...“ Mit dieser Antwort wollte er den Jüngern die Sorge nehmen, er kümmere sich nicht um sie, da sie ihn so unbesorgt um die Lebensgefahr eines Freundes sahen. Damit sie sich also inzwischen um das Leben des Lazarus keine Gedanken machten, sagt er, die Krankheit sei nicht tödlich; ja, er verhieß ihnen sogar, daß sie für ihn der Anlaß zu neuer Verherrlichung werden würde. Zwar starb Lazarus ja dann doch, aber weil Christus ihm bald darauf das Leben zurückgab, sagte er in Rücksicht auf diesen Ausgang, die Krankheit sei nicht zum Tode. Das zweite Satzglied: zur Verherrlichung Gottes besagt nicht, daß Gottes Herrlichkeit im Tod der Gottlosen nicht genauso sichtbar würde wie in der Errettung der Frommen; sondern Christus spricht hier ausdrücklich von der Ehre Gottes, wie sie sich mit seinem Amt und Auftrag verbindet. Weiter offenbarte sich in Christi Wundern nicht die furchtbare Macht Gottes, sondern seine Güte und Milde. Wenn er also sagt, es sei keine Todesgefahr vorhanden, wo er seine und des Vaters Herrlichkeit erscheinen lassen will, so muß man überlegen, warum und wozu er vom Vater gesandt worden ist: nämlich um zu erretten, nicht um zu verderben. Große Bedeutung hat die Ausdrucksweise: „zur Verherrlichung Gottes“, damit Gottes Sohn dadurch verherrlicht werde. Daraus können wir nämlich ersehen, daß Gott in der Person seines Sohnes erkannt werden will, so daß auch alle Ehre, die er für sich fordert, dem Sohne zuteil werden soll. Daher haben wir schon oben (Kap. 5, 23) gelesen: Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt auch den Vater nicht. Deshalb mühen sich auch Juden und Türken vergeblich, Gott zu verehren, da sie Christus verschmähen, ja, sie versuchen sogar auf diese Weise, Gott von ihm selbst zu trennen. (...)
17 Da kam Jesus und fand ihn schon vier Tage im Grabe liegen.
18 Bethanien aber war nahe bei Jerusalem, bei einer halben Stunde. 19 Und viele Juden waren zu Martha und Maria gekommen, sie zu trösten über ihren Bruder. 20 Als Martha nun hörte, daß Jesus kommt, ging sie ihm entgegen; Maria aber bliebe daheim sitzen. 21 Da sprach Martha zu Jesus: Herr, wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. 22 Aber auch jetzt noch weiß ich, daß, was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben. 23 Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. 24 Martha spricht zu ihm: Ich weiß wohl, daß er auferstehen wird in der Auferstehung am Jüngsten Tage. 25 Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe: 26 und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das? 27 Sie spricht zu ihm: Herr, ja; ich glaube, daß du bist der Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.
V. 18. „Bethanien aber war nahe hei Jerusalem ...“ Mit Eifer trägt der Evangelist alle Züge der Erzählung zusammen, die für ihre Beglaubigung von Bedeutung sind; er berichtet, wie nahe Bethanien bei Jerusalem lag, damit keiner sich wundere, daß viele von ihren Freunden dorthin gekommen waren, um die Schwestern zu trösten. Gott wollte, daß sie alle Zeugen des Wunders sein sollten. Denn wenn auch ihre menschliche Teilnahme sie dorthin geführt hatte, so waren sie doch nach dem verborgenen Plan Gottes zu einem anderen Zweck dort versammelt, nämlich damit die Erweckung des Lazarus nicht unbekannt bliebe oder nur die Hausgenossen zu Zeugen hätte. Hier wird aber auch das Volk seiner böswilligen Undankbarkeit überführt. Denn diesen leuchtenden Beweis göttlicher Kraft, geschehen fast wie auf einer Schaubühne, an einem vielbesuchten Ort, im Beisein vieler Menschen, nahe den Toren der Stadt, verlieren fast alle zugleich wieder aus den Augen. Ja, die Juden schlössen bösen Willens ihre Augen und gaben sich Mühe, das nicht zu sehen, was vor aller Augen war. Aber das ist ja nicht neu oder selten, daß Menschen, die allzu begierig nach Wundern verlangen, bei ihrem Anblick dann völlig stumpf und teilnahmslos sind.
V. 19. „... Sie zu trösten über ihren Bruder.“ Jene wollten nur Trost spenden, aber Gott hatte, wie gesagt, anderes im Sinn. Hier wird deutlich, daß das Haus des Lazarus und seiner Schwestern in hohem Ansehen stand. Da es übrigens ganz natürlich ist, daß der Tod von Angehörigen den Menschen Schmerz und Trauer bringt, muß man diese Beileidsbesuche, die der Evangelist erwähnt, gutheißen. Nur Übertreibungen, die, wie bei anderen Anlässen, auch hier oft herrschen, entstellen eine an sich gute Sitte.
V. 20. „Als Martha nun hörte ...“ Martha verläßt das Dorf, nicht nur, wie wir später sehen werden, um Christus Ehre zu erweisen, sondern um ihn heimlich aufzunehmen; denn die Erinnerung an die Gefahr, in der er geschwebt hatte, war noch frisch, und die Wut seiner Feinde hatte sich noch nicht gelegt. Auf das Gerücht hin, er sei nach Galiläa gegangen, hatte die Wut sich wohl ein wenig gelegt, konnte aber bei seiner Rückkehr nur um so heftiger von neuem losbrechen.
V. 21. „... Herr, wärest du hier gewesen, ...“ Sie beginnt mit einer Klage; indessen gibt sie so nur schüchtern zu verstehen, was sie eigentlich wollte. Es ist nämlich, als sagte sie, du hättest meinen Bruder mit deiner Gegenwart dem Tode entreißen können; aber du kannst es auch jetzt noch, denn Gott wird dir nichts abschlagen. Indem sie so sprach, folgte sie mehr ihrem leidenschaftlichen Schmerz, als daß sie sich an die Richtschnur des Glaubens hielte. Ich gebe zwar zu, daß diese Worte teils ihrem Glauben entsprangen, aber ich behaupte, daß sich in ihr ungeordnete Gefühle vermischten, die sie über das Ziel hinausführten. Denn daß sie sich selbst einredet, ihr Bruder wäre nicht gestorben, wenn Christus dagewesen wäre, woher nimmt sie diesen Glauben? Sicher schöpfte sie ihn nicht aus irgendeiner Verheißung Christi. Es bleibt also die Vermutung, daß sie unbesonnen mehr ihren eigenen Wünschen nachgibt als sich Christus unterstellt. Für ihren Glauben spricht, daß sie Christus Macht und höchste Güte zutraut. Daß sie sich selbst aber etwas einredete, was über Christi Verheißungen hinausging, das ist dem Glauben fremd. Man muß ja immer daran festhalten, daß Gottes Wort und der Glaube zusammengehören, damit der Mensch sich nicht selbst etwas zurechtmacht, was über Gottes Wort hinausgeht. Es kommt hinzu, daß Martha allzusehr an der leiblichen Gegenwart Christi hing. Marthas Glaube ist also mit maßlosen Wünschen vermischt und verquickt, er ist sogar nicht ganz frei von Aberglauben und konnte nicht in reinem Glänze erstrahlen; so leuchten nur Funken des Glaubens in ihren Worten auf.
V. 23. „... Dein Bruder wird auferstehen.“ Wunderbar ist Christi Freundlichkeit, daß er Martha die genannten Fehler verzeiht und ihr viel mehr verspricht, als sie ausdrücklich und offen zu bitten gewagt hatte.
V. 24. „...Ich weiß wohl, daß er auferstehen wird ...“ Hier verrät Martha nun aber eine zu große Ängstlichkeit, denn sie schwächt Christi Worte ab. Eben haben wir gesagt, daß sie sich weiter vorgewagt hatte, als sie durfte, indem sie sich aus ihres Herzens eigenem Empfinden Hoffnung machte. Jetzt verfällt sie in den entgegengesetzten Fehler, da sie Christus, der ihr die Hand hinstreckt, gleichsam ängstlich zagend nicht Folge leistet. Daher müssen wir uns vor beidem hüten: wir dürfen weder über Gottes Wort hinausgehen und leere Hoffnung aus diesem und jenem schöpfen, noch soll andererseits der Herr, wenn er zu uns spricht, unsere Herzen verschlossen oder allzusehr in Angst verstrickt finden. Übrigens wollte Martha mit ihrer Antwort etwas mehr aus Christus herauslocken, als sie auf Grund seiner Worte zu hoffen wagte, als wollte sie sagen: wenn du an die letzte Auferstehung denkst, so zweifle ich nicht, daß mein Bruder am Jüngsten Tage auferweckt werden muß, und dieser Glaube tröstet mich, aber vielleicht willst du mir ja noch etwas Größeres ankündigen.
V. 25. „... Ich bin die Auferstehung und das Leben ...“ Zunächst versichert Christus, er sei die Auferstehung und das Leben, sodann erläutert er jedes Satzglied einzeln und für sich. Zuerst nennt er sich die Auferstehung, weil die Auferweckung zum Leben aus dem Tode in höherem Range steht als das Leben selbst. Das ganze Menschengeschlecht ist ja dem Tode verfallen. Keiner also wird leben, der nicht zuvor vom Tode erstanden ist. So lehrt Christus, er sei des Lebens Anbeginn. Danach aber fügt er hinzu, auch die ewige Dauer des Lebens sei ein Werk seiner Gnade. Daß er ferner vom geistlichen Leben spricht, zeigt klar die Deutung, die gleich darauf folgt: „Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe“. Warum ist Christus also die Auferstehung? Weil er Adams Kinder, die durch ihre Sünden von Gott abgefallen waren, durch seinen Geist wiederbringt, so daß sie ein neues Leben beginnen. Darüber habe ich schon oben (Kap. 5, 21; 5, 24) ausführlicher gesprochen, und Paulus (Eph. 2, 5 und 5, 8) ist der beste Ausleger dieser Stelle. Mögen sich doch die jetzt mit ihrem Geschwätz davonmachen, die behaupten, die Menschen könnten sich aus eigenem Triebe dafür bereitmachen, Gottes Gnade zu empfangen; das ist ja soviel, als wollten sie behaupten, die Toten könnten wandeln. Denn daß die Menschen leben und atmen, daß sie mit Gefühl, Einsicht und Willen begabt sind, das alles zielt nur auf ihren Untergang; denn es gibt keinen Teil und keine Kraft der Seele, die nicht verdorben und vom rechten Wege abgewichen wäre. So kommt es, daß der Tod überall seine Herrschaft behauptet. Der Tod der Seele ist die Entfremdung von Gott. Die also an Christus glauben, beginnen zu leben, auch wenn sie vorher tot waren; denn der Glaube ist die geistliche Auferstehung der Seele, und sie belebt die Seele gewissermaßen selbst, so daß sie für Gott lebt, entsprechend dem Wort (5, 25): Die Toten werden hören die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie gehört haben, werden leben. Gewiß eine Verherrlichung des Glaubens, daß er uns vom Tode befreit, indem er Christi Leben in uns einströmen läßt.
V. 26. „Und wer da lebet und glaubet an mich ...“ Dies ist die Auslegung des zweiten Satzgliedes: ... und das Leben. Christus ist eben deshalb das Leben, weil er das Leben, das er einmal gegeben hat, nie wieder vergehen läßt, sondern es bis zum seligen Ende erhält. Was nämlich geschähe bei der großen Anfälligkeit des Fleisches mit den Menschen, wenn man sie sich selbst überließe, nachdem sie einmal das Leben erlangt hätten? Also muß die ganze ununterbrochene Dauer des Lebens in der Kraft desselben Christus begründet sein, damit er vollenden kann, was er begonnen hat. Es heißt aber deshalb, die Gläubigen werden niemals sterben, weil ihre Seelen, aus unvergänglichem Samen wiedergeboren, den Geist Christi für alle Zeit in sich haben, durch den sie auf ewig leben. Denn wenn auch der Leib der Sünde wegen dem Tode verfallen ist, so ist doch der Geist Christi das Leben, weil er gerecht macht (Röm. 8,10). Daß aber der äußere Mensch bei ihnen täglich mehr verfällt, tut doch ihrem wahren Leben so wenig Abbruch, daß es vielmehr sein Wachstum fördert; denn der innere Mensch wird von Tag zu Tag erneuert (2. Kor. 4,16). Ja, der Tod selbst bedeutet für sie die Befreiung von der Knechtschaft des Todes. Auf den ersten Blick scheint Christus vom geistlichen Leben zu sprechen, um die Aufmerksamkeit Marthas von ihrem gegenwärtigen Verlangen abzulenken. Martha wünschte ja, daß ihr Bruder wieder zum Leben erweckt werde. Christus sagt darauf, er sei der Geber eines besseren Lebens, weil er nämlich mit seiner himmlischen Kraft die Seelen zum Leben erwecke. Aber ohne Zweifel wollte Christus ihr doppelte Gnade erweisen; so weist er ganz allgemein auf das geistliche Leben hin, das er den Seinen bringt; aber dann wollte er einen Vorgeschmack seiner Kraft geben, die sich bald darauf durch die Erweckung des Lazarus erweisen sollte.
V. 27. „... Ich glaube, daß du bist der Christus ...“ Um zu beweisen, daß sie das glaube, was sie von Christus gehört hatte, nämlich daß er die Auferstehung und das Leben sei, antwortet Martha, sie glaube, er sei der Christus und der Sohn Gottes; und diese Erkenntnis enthält ganz gewiß das Höchste aller Güter. Man muß nämlich immer festhalten, wozu der Messias gesandt war und welches Amt ihm die Propheten zuwiesen. Indem aber Martha bekennt, er sei, der da kommen sollte, zeigt sie ihren Glauben an die Weissagungen der Propheten. Aus ihnen ergibt sich, daß von ihm die völlige Erneuerung und die gewisse Seligkeit zu erwarten sei. Er war schließlich dazu gesandt, das wahre und vollkommene Reich Gottes zu gründen und zu errichten.
40 Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: wenn du glaubest, würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen? 41 Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen empor und sprach: Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast. 42 Ich wußte wohl, daß du mich allezeit hörst; aber um des Volkes willen, das umhersteht, habe ich geredet, damit sie glauben, daß du mich gesandt hast. 43 Da er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! 44 Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen und sein Angesicht verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löset die Binden und lasset ihn gehen!
V. 40. „... Habe ich dir nicht gesagt...“ Jesus rügt Marthas Kleingläubigkeit, weil sie nicht genug Hoffnung aus der Verheißung geschöpft hatte, die sie vernahm. Es wird aber aus dieser Stelle deutlich, daß Jesus etwas mehr zu Martha gesagt hatte, als Johannes ausdrücklich erwähnt hat. Indessen meinte, wie gesagt, Christus gerade das, als er sich die Auferstehung und das Leben nannte. Er verurteilt also an Martha, daß sie auch jetzt noch nicht irgendeine Tat Gottes erwartet.
„Wenn du glaubtest.“ So heißt es nicht nur deshalb, weil der Glaube uns die Augen öffnet, daß wir Gottes strahlende Herrlichkeit in seinen Werken sehen dürfen, sondern weil unser Glaube der Macht und Güte Gottes den Weg bereitet, so daß sie sich uns offenbart, wie es Psalm 81, 11 heißt: Tue deinen Mund auf, ich werde ihn füllen. So hindert andererseits der Unglaube das Nahen Gottes, und er hält seine Hand gleichsam verschlossen; daher heißt es auch an anderer Stelle (Matth. 13, 58): Jesus konnte dort kein Zeichen tun wegen ihres Unglaubens. Nicht als wäre Gottes Kraft an die Entscheidung der Menschen gebunden, sondern sie halten sie nur, soviel an ihnen ist, durch das Hindernis ihrer Bosheit fern und sind es nicht wert, daß sie sich ihnen offenbare. Manchmal freilich überwindet Gott Hindernisse dieser Art; aber sooft er seine Hand zurückzieht, um den Ungläubigen nicht zu helfen, so geschieht das doch deshalb, weil sie, eingeschlossen in die Enge ihres Unglaubens, seine Hand nicht an sich herankommen lassen.
„So würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen.“ Man beachte, wie das Wunder als Herrlichkeit Gottes bezeichnet wird; denn indem Gott darin die Kraft seiner Hand offenbart, verherrlicht er seinen Namen. Nun aber läßt Martha den Stein wegnehmen, da sie sich mit dem zweiten Wort Christi zufriedengibt. Zwar sieht sie noch nichts, aber weil sie hört und glaubt, daß dies nicht grundlos von Gottes Sohn veranlaßt wird, folgt sie seinem Befehl gern.
V. 41 „... Jesus aber hob seine Augen empor ...“ Dies war die Gebärde eines Menschen, der sich wirklich zum Beten gesammelt hatte. Denn wenn man Gott richtig anrufen will, muß man eine Verbindung zu ihm haben. Das kann nur geschehen, wenn man sich über das Irdische erhebt und zum Himmel selbst aufschwingt. Das gelingt freilich nie den Augen der Heuchler, die tief im abgründigen Schmutz des Fleisches haften und mit Augenverdrehen den Himmel zu sich herabzuziehen scheinen; aber was jene nur zu tun vorgeben, das müssen die Kinder Gottes in Wahrheit leisten. Wer aber seine Augen zum Himmel erhebt, muß Gott in seinen Gedanken dort nicht sozusagen einschließen, der doch allenthalben Himmel und Erde erfüllt. Aber da ja des Menschen Sinn sich von groben Vorstellungen nie frei machen kann, sondern immer nur niedere und irdische Vorstellungen von Gott hat, außer wenn sich seine Gedanken über die Erde erheben, ruft uns die Schrift dorthin und bezeugt, der Himmel sei Gottes Sitz (Jes. 66, 1). Dieser Aufblick zum Himmel aber ist keine immer gültige feierliche Gebärde: ohne die kein wahres Gebet möglich wäre. Denn der Zöllner, der mit demütig gesenktem Blick betet, dringt mit seinem Glauben genauso zum Himmel vor. Doch ist es eine nützliche Übung, mit der die Menschen sich wach und bereit machen, Gott zu suchen. Ja, der brennende Wunsch zum Gebet beherrscht den Leib oft so stark, daß die leibliche Gebärde in Einklang mit dem Geist ganz von selbst folgt. Gewiß ist kein Zweifel, daß Christus, als er seine Augen zum Himmel erhob, sich mit ganz besonderem Drang dorthin gezogen fühlte. Dazu kommt daß er ja gleichsam ganz und gar beim Vater weilte, und so wollte er auch andere mit sich zu ihm führen.
„Vater, ich danke dir.“ Er beginnt mit einem Dank, obwohl er noch um gar nichts gebeten hat; aber obwohl der Evangelist nicht ausdrücklich berichtet, daß er eine Bitte ausgesprochen habe, so besteht doch gar kein Zweifel, daß eine solche vorherging, denn anders konnte er ja nicht erhört werden. Man kann auch glauben, Christus habe während jenes „Ergrimmens", das der Evangelist erwähnt, gebetet, da es ein ganz abwegiger Gedanke ist, er sei in seinem Innern wie gewöhnlich die törichten Menschen, völlig verwirrt gewesen. Jetzt dankt er dem Vater, daß er ihm das Leben des Lazarus gegeben hat. Daß er ferner diese Kraft, die er erhalten hat, dem Vater zuschreibt und nicht sich selbst anmaßt, damit bekennt er sich nur als Helfer des Vaters. Denn je nachdem, wie er sich dem Verständnis der Menschen anpaßt, offenbart er bald seine Gottheit vor aller Augen und nimmt für sich in Anspruch, was Gott zusteht, bald gibt er sich damit zufrieden, als Mensch zu handeln, und überlaßt die ganze Ehre der Gottheit, dem Vater. Beides verbindet der Evangelist hier aufs beste in einem Wort, indem er sagt, Christus werde vom Vater erhört, aber er danke ihm, damit die Menschen wüßten, er sei vom Vater gesandt, d.h., daß sie in ihm Gottes Sohn erkennen sollten. Da ja Christi Majestät nicht unmittelbar in ihrer Hoheit erfaßt werden konnte, so brachte die Kraft Gottes, die sich in seinem Fleisch offenbarte, den ungeübten und langsamen Sinn der Menschen Schritt für Schritt zur Erkenntnis jener Hoheit. Denn da er uns ganz gleich sein wollte, so ist es kein Wunder, wenn er sich uns auf verschiedene Weise anpaßt. Ja, da er sich unseretwegen hat seiner Gottheit berauben lassen, so ist es verständlich, daß er sich auch ganz zu uns herabläßt.
V. 42. „Ich wußte wohl, daß du mich allezeit hörst“. Keiner sollte glauben, er stehe beim Vater nicht in solchem Ansehen, daß er ihm nicht sofort die Wunder gewährte, die immer er vollbringen wollte. Er macht also nur deutlich, er stimme so mit dem Vater überein, daß dieser ihm nichts abschlage, ja es bedürfe gar keiner Bitte, da er allein das tue, was der Vater ihm aufgetragen hatte; aber damit vor den Menschen besser bezeugt werde, daß es in Wahrheit ein göttliches Werk sei, deshalb habe er den Namen des Vaters angerufen. Wenn nun jemand einwürfe, warum er denn nicht alle Toten auferweckt habe, ist die Antwort leicht: nach Gottes Ratschluß war das Maß an Wundern begrenzt; es sollten nur so viele sein, wie er wußte, daß sie zur Bestätigung des Evangeliums genügen würden.
V. 43. „... Rief er mit lauter Stimme ...“ Indem er ihn nicht mit der Hand berührt, sondern nur anruft, erweist sich besser seine göttliche Macht; zugleich zeigt er uns die verborgene und wunderbare Wirkung seines Wortes. Wie nämlich gibt Christus den Toten das Leben zurück, wenn nicht durch sein Wort? Deshalb gibt er in der Erweckung des Lazarus ein sichtbares Zeichen für die Gnade des Geistes, die wir täglich im Glauben erfahren, indem er zeigt, daß seine Stimme Leben schafft.
V. 44. „... Gebunden mit Grabtüchern ...“ Sorgfältig vermerkt der Evangelist das Schweißtuch und die Grabtücher, damit wir wissen, Lazarus ist aus dem Grab hervorgegangen, so wie man ihn hineingelegt hatte. Diese Begräbnissitte halten die Juden bis auf den heutigen Tag fest; den Leib bedecken sie mit Leinen, den Kopf umhüllen sie gesondert mit einem Tuch.
„Löset die Binden.“ Übrig blieb noch, die Herrlichkeit des Wunders zu vergrößern, daß die Juden das göttliche Werk, das sie mit eigenen Augen gesehen hatten, nun auch mit Händen greifen konnten. Christus hätte ja auch bewirken können, daß Lazarus die Tücher, mit denen er gebunden war, abschüttelte oder daß sie von selbst abfielen, aber er wollte, daß auch die Hände der Umstehenden ihm Zeugnis geben sollten.
Aus: Otto Weber, Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. Vierzehnter Band: Das Johannes-Evangelium, Neukirchener Verlag, 1964, S. 280ff. 286ff. 293ff.