Heiligabend - Lukas 2,1-14: Friede auf Erden

von Johannes Calvin

"...Die Engel reden nicht von dem äußeren Frieden der Men­schen untereinander, sondern dann ist Friede auf Erden, wenn die Menschen mit Gott versöhnt sind und damit in ihrem Herzen Frieden haben."

Lukas 2,1-7
1 Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde. 2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. 3 Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. 4 Da machte sich Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum daß er von dem Hause und Geschlecht Davids war, 5 auf daß er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. 6 Und als sie daselbst waren, kam die Zeit daß sie gebären sollte. 7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Lukas erzählt, wie es kam, daß Christus in Bethlehem geboren wurde, obwohl Maria bis kurz vor der Geburt an einem anderen Ort wohnte. Er schließt zu­nächst jede menschliche Überlegung aus, da er sagt, Joseph und Maria hätten ihr Haus verlassen und wären nach Bethlehem gezogen, um sich als Glieder des Hauses David in die Bürgerlisten eintragen zu lassen. Wären sie aber von ihrer Stadt weggezogen zu dem Zweck, daß Maria in Bethlehem gebären sollte, so hätten wir es mit einem Plan von Menschen zu tun; jetzt aber, da sie nichts an­deres bewog als der Gehorsam gegen den Befehl des Augustus, sehen wir deutlich, daß sie wie Blinde von Gottes Hand dahin geleitet wurden, wo Christus geboren werden mußte. Zwar scheint das alles ein Zufall zu sein, wie ja die Ungläubigen alles, was nicht durch den Willen der Menschen bestimmt wird, dem Zufall zuschreiben. Aber wir dürfen nicht nur auf die nackten Tatsachen achten, wir müssen uns vielmehr dabei dessen erinnern, was Jahrhunderte vorher von den Propheten geweissagt ist. Aus der Zusammenstellung der Tatsachen und der Weissagungen wird sich klar ergeben, daß die damalige Volkszählung nicht ohne die wunderbare Vorsehung Gottes von dem Kaiser befohlen wurde und daß Joseph und Maria von Hause fortziehen mußten, um zur rechten Zeit in Bethle­hem zu sein. Aus solchen Fällen erkennen wir, daß Gottes Knechte das Wozu und Warum ihres Weges zuweilen selbst nicht wissen, aber doch auf dem rechten Weg bleiben, weil Gott ihren Fuß regiert. Die wunderbare Vorsehung Gottes tritt nicht weniger darin zutage, daß das Gebot eines Gewaltherrschers Maria von Hause wegtrieb, damit die Verheißung sich erfülle. Gott hatte den Geburtsort seines Sohnes durch den Propheten vorher bezeichnet. Wäre Maria nicht gezwungen worden, hätte sie sicherlich zu Hause das Ereignis abgewartet. Augustus befiehlt, daß in Judäa Volkszählung stattfinde und daß ein jeder sich einschreiben lasse, damit er dem Kaiser die jährliche Abgabe zahle, die sie früher Gott zu geben pflegten. Der heidnische Mann beansprucht also für sich, was Gott immer von seinem Volk gefordert hatte. Es war gerade, als hätte er sich von nun an die Ju­den völlig dienstbar machen und ihnen wehren wollen, forthin als Gottes Volk zu zählen. Da, als die Not aufs höchste gestiegen ist und es den Anschein hat, als sollten die Juden nun völlig der Herrschaft Gottes entzogen werden, sendet Gott nicht nur mit einemmal und gegen aller Erwarten das Heilmittel, sondern er bedient sich sogar dieser heidnischen Gewaltherrschaft, um sein Volk zu erlö­sen. Denn der mit der Ausführung des Befehls betraute kaiserliche Landpfleger ist, ohne es selbst zu ahnen, Gottes Herold, der Maria an den ihr von Gott be­stimmten Ort rufen muß. Alles, was Lukas hier erzählt, soll die Gläubigen erken­nen lehren, daß Christus von Geburt an unter der unmittelbaren Leitung Gottes gestanden hat. Die Gewißheit unseres Glaubens empfängt eine mächtige Stütze dadurch, daß wir sehen, wie Maria, ohne es selbst zu wollen und zu erwarten, nach Bethlehem gebracht wurde, damit von dort der Erretter seinen Ausgang habe, ganz wie einst verheißen war.

V. 1. „Daß alle Welt geschätzt würde.“ Der Ausdruck „alle Welt", der ganze Erdkreis, ist eine bei den römischen Schriftstellern sehr beliebte und gebräuchliche Redewendung, hat also nichts Befremdendes an sich. Die erwähnte Steuer wird alle Provinzen getroffen haben, damit sie eben als allgemeine erträglicher wäre und weniger Haß erregte. Die Art und Höhe der Auflage ist vielleicht verschie­den gewesen. Daß es die erste Schätzung war, erkläre ich so, daß den Juden als völlig Unterworfenen damals ein neues, ungewohntes Joch aufgehalst wurde. Einige Schwierigkeiten bereitet die Angabe des Lukas in V. 2. Der jüdische Schriftsteller Josephus berichtet nämlich, Cyrenius sei nach der Verbannung des Königs Archelaus als Statthalter gesandt worden, um Judäa mit der Provinz Syrien zu vereinigen. Da nun Archelaus nach dem Tod seines Vaters Herodes neun Jahre regiert hat, mußte die Schätzung etwa 13 Jahre nach Christi Geburt stattgefunden haben. An einer anderen Stelle erzählt derselbe Josephus, die Schätzung sei 37 Jahre nach der Schlacht bei Aktium gehalten worden, also etwa im Jahre 5 unserer Zeitrechnung. Für die Bestimmung des Alters Christi würde daraus folgen, daß es acht bis neun Jahre weniger betragen hätte, als sonst be­zeugt wird. Da aber das Lebensalter Christi von jeher feststeht, läßt sich wohl annehmen, daß sich Josephus in diesen Angaben wie auch sonst an manchen Stel­len geirrt hat. Vielleicht läßt sich die Schwierigkeit auch auf eine andere Weise lösen, nämlich durch die Annahme, daß man die Schätzung nicht gleich durchfüh­ren konnte, als sie befohlen war; denn Josephus erzählt, daß der römische Feld­herr Cauponius mit einem Heer ausgeschickt worden sei, die Juden zum Gehor­sam zu zwingen. Die Schätzung wäre dann durch einen Aufruhr des Volks für einige Zeit verhindert worden. Die Worte des Evangelisten vertragen sich ganz wohl mit der Annahme, daß die Schätzung angeordnet wurde zur Zeit der Ge­burt Christi, ausgeführt hingegen wurde sie erst, als die politische Lage Judäas eine andere geworden und das Reich auf die Stufe einer römischen Provinz her­abgedrückt war. Der Satz des V. 2 wäre dann eine gleichsam in Klammern zugefügte Erklärung: diese erste Schätzung fand statt, wurde wirklich durchge­führt, als Cyrenius Statthalter war. Was schließlich die Frage angeht, wozu das Volk in die Steuerlisten eingetragen werden sollte, da es doch dem römischen Kaiser keinen Tribut zahlte, sondern zur Herrschaft des Herodes gehörte, so ist zu antworten, daß Herodes nur ein Knecht des Kaisers war; seine Herrschaft hinderte nicht, daß die Juden dem römischen Reich eine Kopfsteuer als Tribut bezahlten.

V. 7. „Sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“ Hier sehen wir nicht nur die große Armut Josephs, sondern auch, mit welcher Härte der Befehl ge­handhabt wurde. Keine Entschuldigung wird angenommen: Joseph ist gezwun­gen, unter den ungünstigsten Umständen mit seiner schwangeren Frau zu reisen. Es ist aber auch denkbar, daß Nachkommen des königlichen Geschlechts härter und schlechter behandelt wurden als andere. Joseph müßte ganz gefühllos ge­wesen sein, wenn er nicht um die Gattin besorgt gewesen wäre; er würde gern die Reise unterlassen haben. Aber es ist unmöglich. Daher gehorcht er dem Zwang und befiehlt sich dem Herrn. Zugleich erkennen wir, wie der Eintritt des Sohnes Gottes in die Welt war und welche Wiege ihn umfing. Er ist in solcher Lage ge­boren worden, weil er unser Fleisch annahm, um sich für uns zu erniedrigen. In einen Stall hat man ihn gewiesen und in eine Krippe gelegt; unter den Menschen fand er keine Stätte, damit uns der Himmel offen wäre, nicht nur wie eine Her­berge, wo man im Vorübergehen einkehrt, sondern als unser ewiges Vaterhaus, als unser Erbteil für immerdar, und damit die Engel uns zu ihrer Gemeinschaft den Zugang gäben.

Lukas 2,8-14
8 Und es waren die Hirten in derselben Gebend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nacht ihre Herde. 9 Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. 13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Herrscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.

V. 8. „Und es waren Hirten...:“ Daß Christus in Bethlehem geboren wurde, mußte der Welt bekannt werden. Die Weise jedoch, wie das geschah, paßt so, wie sie der Evangelist schildert, sehr wenig zu den Ansichten und dem Geschmack der Welt. Zunächst wurde Christus nur einigen wenigen Zeugen offenbar, und zwar in nächtlicher Verborgenheit. Ferner, obwohl Gott viele angesehene und geehrte Zeugen zur Hand hatte, überging er sie alle und erwählte allein die Hirten, die doch wenig Ansehen bei den Leuten besaßen. Hier muß wohl die Vernunft und Weisheit des Fleisches zunichte werden, und wir sollen bekennen, daß die gött­liche Torheit weiser ist, als die Menschen sind (1. Kor. 1,25). Aber auch dies ge­hörte zur Erniedrigung Christi; nicht als ob seine Herrlichkeit dadurch Einbuße erlitten hätte; sie sollte nur eine Zeitlang verborgen bleiben. Es ist eben so, wie Paulus 1. Kor. 2,4 bezeugt, daß das Evangelium dem Fleisch nach unscheinbar und wenig geachtet ist, damit unser Glaube seinen Grund in der Kraft des Geistes habe, nicht in hohen Worten menschlicher Weisheit oder in sichtbarer Herrlich­keit. So hat Gott diesen unvergleichlichen Schatz von Anfang an in irdenen Ge­fäßen verborgen, damit er um so besser den Gehorsam unseres Glaubens er­probte. Wollen wir also zu Christus kommen, darf es uns nicht verdrießen, denen zu folgen, die Gott zur Beschämung menschlichen Hochmuts von den Herden wegnahm und zu Lehrern einsetzte.

V. 9. „Des Herrn Engel trat zu ihnen.“ Lukas erzählt, die Herrlichkeit des Herrn habe die Hirten umleuchtet; daran sollten sie den Engel erkennen. Die von dem Evangelisten berichteten Worte des Engels würden wenig Eindruck auf sie gemacht haben, wenn nicht Gott durch ein sichtbares Zeichen bezeugt hätte, daß das, was sie hörten, von ihm selber ausging. Darum erschien ihnen der Engel nicht in der Gestalt irgendeines Menschen oder in unscheinbarer Hülle, sondern ange­tan mit dem Glanz himmlischer Herrlichkeit, um die Herzen der Hirten zu be­wegen, daß sie die Botschaft geradeso aufnehmen sollten, als hätte Gott sie ihnen mit eigenem Mund verkündigt. Daher überfiel die Hirten Furcht. Durch solche Furcht pflegt Gott Menschenherzen zu demütigen, damit sie seinem Wort Aufmerksamkeit verschaffe.

V. 10. „Fürchtet euch nicht.“ Diese Ermahnung soll die Furcht wegnehmen. So heilsam es für uns ist, von Furcht erfüllt zu werden, damit wir lernen, Gott seine Ehre zu geben, so bedürfen wir doch zugleich des Trostes, damit wir nicht ganz verzweifeln. Denn vor Gottes Majestät muß die ganze Welt verzagen und sich entsetzen, wenn er nicht selbst durch seine Güte ihre schreckenerregende Gewalt lindert. Deshalb stürzen die Gottlosen beim Anblick Gottes besinnungslos zu­sammen, weil sie ihn nur als den Richter erblicken. Der Engel hingegen bezeugt den Hirten zu ihrem Trost, er sei zu einem anderen Zweck zu ihnen gesandt, nämlich als Bote der Barmherzigkeit Gottes. Und dieses eine Wort hören zu dürfen: Gott ist uns gnädig - das richtet Zusammengesunkene wieder auf, ja bringt Verlorene wieder zurecht und ruft vom Tod zurück ins Leben. Der Engel sagt zuerst, er verkündige „große Freude“. Danach gibt er den Gegenstand der Freude an: „Euch ist der Heiland geboren“. Hieraus lernen wir, daß alle unsere Freuden Eitelkeit und Betrug sind, solange wir nicht mit Gott Frieden haben und durch Christi Gnade mit ihm versöhnt sind. Die Ungläubigen zwar jauchzen oft in ihrer trunkenen, ausgelassenen Freude; aber wenn nicht zwischen ihnen und Gott der Friedensstifter stünde, müßten sie von den verborgenen Stacheln des Gewissens elend gepeinigt werden. Ja mehr noch, sie mögen sich noch so sehr in Vergnügen gehenlassen und sich selbst betrügen, so sind doch alle ihre Begier­den für sie ebenso viele Plagen. Das ist aber der Anfang der wahren Freude, die väterliche Liebe Gottes gegen uns zu erkennen, die allein unsere Herzen stillt. Diese Freude erwächst durch den Heiligen Geist, und in ihr besteht das Reich Gottes, wie Paulus Römer 14, 17 zeigt. Die Freude wird „groß“ genannt, damit wir wissen, daß wir uns nicht nur in erster Linie am Heil freuen sollen, das uns in Christus dargereicht ist, sondern daß dieses Gut so groß und unbeschreiblich ist, daß es alle Schmerzen, Beschwerden und Ängste der Gegenwart aufwiegt. Daher müssen wir suchen, an Christus allein so unser Genüge zu haben, daß die Erfah­rung seiner Gnade alle Beschwerden des Fleisches überwindet, ja ihnen schließlich alle Bitterkeit nimmt.
„Die allem Volk widerfahren wird.“ Obgleich der Engel nur die Hirten anredet, gibt er doch zu verstehen, daß seine Heilsbotschaft nicht nur sie angeht, sondern daß auch andere sie hören werden. Dem ganzen Volk widerfuhr Freude, weil sie allen ohne Unterschied angeboten wurde. Denn dem ganzen Samen Abrahams, nicht diesem oder jenem einzelnen, hatte Gott Christus verheißen. Daß aber die Juden in ihrer Mehrzahl der ihnen zugedachten Freude beraubt wurden, geschah wegen ihres Unglaubens. Es ging damals wie heute: Gott lädt alle miteinander durch das Evangelium zum Heil ein, aber die Undankbarkeit der Welt bewirkt, daß nur wenige diese allen angebotene Gnade genießen. Obgleich sich also jene Freude auf wenige beschränkte, ist sie doch, von Gott her gesehen, eine allgemeine Freude. Freilich redet der Engel zunächst lediglich von dem auserwählten Volk, aber nachdem heute die Scheidewand gefallen ist, geht seine Sendung das ganze Menschengeschlecht an. Denn Christus verkündigt Frieden denen, die nahe sind, und denen, die ferne sind, den Fremden und den Hausgenossen (Eph. 2,17). Da jedoch der besondere Bund Gottes mit den Juden bis zur Auferstehung Christi währte, macht der Engel noch einen Unterschied zwischen ihnen und den übrigen Völkern.

V. 11. „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Hier wird die Ursache der Freude genannt: der einst verheißene Erlöser ist euch geboren, der Erneuerer der Ge­meinde Gottes. Die Botschaft des Engels betrifft nicht eine neue, unerhörte Sache, sondern er kann sein Wort auf Gesetz und Propheten stützen. Hätte er mit Hei­den zu tun gehabt, wäre es verlorene Mühe gewesen, ihnen zu sagen: Christus, der Herr, ist euch als Heiland geboren. Ebendeshalb erwähnt er auch, er sei „in der Stadt Davids“ geboren. Dies hatte nur dann einen Zweck, wenn er die Erinnerung an die allen Juden bekannten Verheißungen dadurch aufwecken konnte. Kurzum, der Engel paßt sein Wort den Zuhörern an, die mit der verhei­ßenen Erlösung wohlbekannt waren; seine frohe Botschaft knüpft er an die Lehre des Gesetzes und der Propheten. Christus heißt Heiland, weil er in Wahrheit und vollkömmlich Bringer des Heils ist. Auch das „euch“ ist bedeutungsvoll: nur dann hatten die Hörer wirklich etwas von der Kunde: der Urheber des Heils ist ge­boren, wenn jeder dieses auf sich persönlich beziehen durfte. So lesen wir auch Jes. 9,5: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben", und ebenso Sach. 9,9: „Siehe, dein König kommt zu dir."

V. 12. „Und das habt zum Zeichen.“ Der Engel beugt einem Anstoß vor, der dem Glauben der Hirten leicht hätte hinderlich werden können. War es denn nicht wie ein Spott, den in einer Krippe liegen zu sehen, der als König und allei­niger Retter von Gott gesandt war? Damit nun Christi Niedrigkeit und Armut die Hirten im Glauben nicht hindern, sagt ihnen der Engel voraus, was sie er­blicken würden. Das ist eben die Weise, wie der Herr jeden Tag mit uns verfährt, mag auch die menschliche Vernunft sich daran ärgern und darüber lachen. Durch das Wort des Evangeliums vom Himmel her gebietet er uns, den gekreuzigten Christus zu umfassen, und irdische, vergängliche Speise hält er uns vor als Zei­chen der seligen, unvergänglichen Herrlichkeit. Er hat uns eine geistliche Gerech­tigkeit versprochen, und ein wenig Wasser stellt er uns vor Augen; mit einem Stück Brot und einem Tropfen Wein versiegelt er der Seele das verheißene ewige Leben. Wenn also die Hirten sich durch den Stall nicht aufhalten ließen, bei Christus Heil zu suchen und sich der Herrschaft des eben Geborenen zu unterwerfen, dann darf auch heute kein noch so unscheinbares Zeichen uns seine Herr­lichkeit verdunkeln und uns hindern, ihn jetzt, nachdem er in den Himmel auf­gefahren ist und zur Rechten des Vaters sitzt, demütig anzubeten.

V. 13. „Und alsbald war da die Menge der himmlischen Heerscharen.“ Die Hirten hatten bereits an dem einen Engel die Zeichen des göttlichen Glanzes ge­sehen; aber Gott wollte seinen Sohn noch höher ehren, und zwar nicht weniger zu unserer Stärkung als zur Stärkung der Hirten. Bei uns Menschen genügt das Zeugnis zweier oder dreier Zeugen, um alle Bedenken schwinden zu lassen; hier gibt das ganze himmlische Heer einstimmig Zeugnis für den Herrn. Welche Verstocktheit, welcher Trotz würde es sein, wenn wir nicht in den Ruhm der Engel einstimmen wollten, die alle miteinander singen, daß in Christus unser Heil ruht? Wie muß Gott dann aber auch den Unglauben hassen, der diese lieb­liche Harmonie des Himmels und der Erde stört! Wir müßten ja stumpfer und un­empfänglicher sein als Tiere, wenn der Lobgesang, den die Engel uns vorgesungen haben, nicht unseren Glauben befestigte und das eifrige Verlangen entzündete, Gott zu loben! Dies einhellige Lied der himmlischen Heerscharen soll uns endlich ermahnen, die Einheit des Glaubens zu pflegen und mit rechter Einigkeit des Herrn Lob auf Erden zu besingen.

V. 14. „Ehre sei Gott in der Höhe.“ Mit Danksagung, mit Lobpreis Gottes be­ginnen die Engel, wie denn auch die Schrift überall erklärt, wir seien dazu vom Tod erkauft, damit wir durch Wort und Werk unsere Dankbarkeit gegen Gott bezeu­gen. Gott versöhnte uns mit sich durch den eingeborenen Sohn, um durch diese Offenbarung des Reichtums seiner Gnade und Barmherzigkeit seinen Namen zu verherrlichen. In demselben Maß also, wie wir heute aus der Erkenntnis der Gnade die Aufforderung heraushören, Gott zu rühmen, in demselben Maß sind wir gewachsen im Glauben an Christus. Ja sooft unsere Rettung erwähnt wird, sollen wir wissen, daß uns gleichsam ein Zeichen gegeben wird, Gott Dank und Lob zu bringen.
„Friede auf Erden.“ Die Engel reden nicht von dem äußeren Frieden der Men­schen untereinander, sondern dann ist Friede auf Erden, wenn die Menschen mit Gott versöhnt sind und damit in ihrem Herzen Frieden haben. Als Kinder des Zorns werden wir geboren und sind Feinde Gottes von Natur. Solange wir aber Gott gegen uns wissen, müssen wir von schrecklicher Unruhe gepeinigt werden. Die kurze und deutliche Erklärung dessen, was Friede heißt, ergibt sich uns also, wenn wir vom Gegenteil ausgehen, nämlich von dem Zorn Gottes und den Schrecken des Todes. So bezieht sich dieser Friede sowohl auf Gott wie auf die Menschen. Denn nicht eher haben wir Frieden mit Gott, als bis er durch Aus­streichen der Schuld und Nichtanrechnung der Sünde anfängt, uns gnädig zu sein, und bis wir, in seiner Vatergüte ruhend, mit gewisser Zuversicht ihn anrufen und freimütig uns des verheißenen Heils rühmen. Obwohl an anderer Stelle (Hiob 7,10) das Leben des Menschen auf Erden ein beständiger Kriegsdienst genannt wird und die Erfahrung zeigt, daß es nichts Unruhigeres gibt als unser Leben in dieser Welt, so verkünden die Engel doch ausdrücklich das „Friede auf Erden“, um uns zu bezeugen, daß keine Unruhe uns hindern soll, stillen und ruhigen Geistes zu sein, solange wir auf Christi Gnade trauen. Mitten im Sturm der Versuchungen, unter allerlei Gefahren, unter heftigen Erschütterungen, in Kampf und Schrecken behauptet dieser Friede seinen Platz, damit unser Glaube nicht irgendwelchen Schlägen unterliege und ins Wanken gerate.
„Den Menschen ein Wohlgefallen.“ Wenn man der alten Lesart der lateinischen Bibel folgt: Friede auf Erden „an den Menschen des Wohlgefallens", die indes nicht richtig sein dürfte, so darf man doch keinesfalls übersetzen: „an den Men­schen, die guten Willens sind". Das wäre eine vollkommene Entstellung des Sin­nes. Denn ohne Zweifel ist von Gottes Wohlgefallen die Rede, und der Satz gibt die Quelle des Friedens an, von dem die Engel geredet haben, damit wir wissen, daß jener Friede ganz allein aus dem lauteren Erbarmen, aus dem Wohlgefallen Gottes stammt.


Aus: Calvin, Auslegung der Heiligen Schrift, Die Evangelienharmonie 1. Teil, Neunkirchener Verlag 1966, S. 72ff.
 


Achim Detmers
 

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