''Ich will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit''

Psalm 17,15 - ausgelegt von Katja Kriener

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Ich will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit,
ich will satt werden, wenn ich erwache, an deinem Bilde.
(Psalm 17,15)

„Was bedeuten euch diese Steine?“ fragen wir uns auf dieser Tagung. Steine sind etwas Sichtbares – Handfestes, Materielles in einer Welt des christlichen Glaubens, der Innerlichkeit, die oft im luftleeren Raum hantiert, im Raum der Vorstellung sich bewegt, der Interpretation, der Meinung und des Kommentars: Religion und Glaube sind ein Feld für das Innere, die Seele, jedenfalls nicht für vordergründig Greifbares. In der Bibel heißt es zwar immer wieder vom Grund unseres Glaubens, von Gott, er sei ein Fels – also ein harter Brocken – in der Landschaft des Glaubens, aber zum Anschauen und Anfassen ist er nicht.

Da kommt uns der Losungsvers heute morgen entgegen:

„Ich will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit,
ich will satt werden, wenn ich erwache, an deinem Bilde.“

Gottes Antlitz schauen – satt werden an seinem Bilde, beim Erwachen, wenn das Nichts Handfestes ist! „Satt werden an Gottes Bilde“ – im Angesicht des Bilderverbots! Was für ein Widerspruch! Jüdische Ausleger haben sich auch mit solchen Widersprüchen herumgeschlagen und dann eine Reihe „davar achers“, anderer Worte, anderer Auslegungen, zusammengestellt, wie man den biblischen Vers verstehen könnte:

„Ich will schauen dein Antlitz: „In der Zukunft!“ sagt Raschi.
„David sagt: Ich bin nicht wie die Bösen, die kein Verlangen nach der zukünftigen Welt haben. Mein Verlangen richtet sich darauf, dein Antlitz zu schauen, deine Gegenwart zu genießen, begleitet von der Gerechtigkeit in der zukünftigen Welt“, so Radak!
So auch Rav Kook: „Der Schatz der zukünftigen Welt liegt in dem Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht!“ –

Und ebenso legt christlich Hans-Joachim Kraus aus: „Dem grausamen Tod der Gerichteten als dem tiefsten Verwerfungsurteil steht als höchstes Glück der Begnadigten das ‚Gott schauen’ gegenüber.“ Auf dieser Linie liegt dann auch die Auslegung des Halbverses „beim Aufwachen werde ich mich satt sehen an Deiner Gestalt“. Das Schlafen haben die Rabbinen mit dem Tod in Verbindung gebracht. Dementsprechend verstehen sie das Aufwachen als Auferstehung.

Die größere Schwierigkeit liegt nun aber in den ersten drei Worte des Verses:

„Ich will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit!“

In Gerechtigkeit – Wie ist das zu verstehen?

Drei Möglichkeiten gibt es:

in Gerechtigkeit (bezedek): wahrhaft und wirklich, also in Wahrheit (beemet), nicht nur im Traum, nicht in der Vorstellung, sondern in Wirklichkeit, in der Realität, handfest, spürbar, greifbar, fassbar offenbart sich Gott, macht er sich sichtbar und werden wir schauen sein Angesicht.

„Ich will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit!“

„Sein Antlitz in Gerechtigkeit“ – da schaue ich Gott als Sonne der Gerechtigkeit, die strahlt mit ihrer heilsamen Zuwendung zu den Armen und Schwachen,

denen, die zu kurz gekommen sind, die auf der Strecke bleiben,
denen, denen vorenthalten wird, was ihnen zuzukommen hat:
den Hungernden das Brot, den Durstenden ausreichend sauberes Wasser
denen, denen ein Dach über dem Kopf und ein Zuhause fehlt, den Schutzsuchenden, die vor Hitze und Kälte nach Europa fliehen, eine Bleibe,
denen, die unterzugehen drohen im Sumpf wirtschaftlicher Ungerechtigkeit,
in der Schamlosigkeit der Menschen im Umgang miteinander, der Halt.

„Ich will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit!“

Gottes Antlitz wird aufstrahlen in Gerechtigkeit, sein Antlitz wird die Züge seiner Gerechtigkeit tragen. Sie wird als Sonne der Gerechtigkeit alles Dunkle, Zwielichtige ans Licht bringen – dereinst, aber vorscheinhaft auch schon hier und heute, bei denen, denen Gott seine Gerechtigkeit zugesagt hat.

Nun bleibt noch die letzte Möglichkeit, „in Gerechtigkeit“ zu verstehen. Rav Dustai ben Rav Yannai lehrte:

“Mit Gott ist das alles ganz anders: Ein Mann gibt eine Gabe von bloß einem Penny einem Armen und er ist gewiss, die Gegenwart Gottes zu schauen, wie da geschrieben steht: in Gerechtigkeit – im Almosengeben, in der Wohltätigkeit oder Caritas, werde ich Dein Angesicht sehen! Rabbi Elazar gab erst ein Geldstück einem Armen und betete dann: in Gerechtigkeit werde ich dein Antlitz schauen.“

Der Talmud ( Berachot 3b) überliefert, dass David um Mitternacht aufstand und begann, die Lieder der Psalmen zu singen bis zum Morgengrauen:
Dann kamen die Weisen Israels, trafen sich mit ihm und erörterten Möglichkeiten, denen zu helfen, die sozial benachteiligt waren. Warum sind sie so früh gekommen? Sogar bevor David eine Chance hatte, sein Morgengebet zu verrichten? Weil David selbst sagt „in Gerechtigkeit – bezedek – werde ich dein Angesicht sehen!“. David selbst hat diese frühen Treffen angesetzt, die den Zweck hatten, Gerechtigkeit zu üben.

Auslegung in Anlehnung an eine Morganandacht auf der Tagung: „Was bedeuten euch diese Steine“ (Jos 4,6), Sonntag, 4. Januar 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar

Auslegung in Anlehnung an eine Morgenandacht auf der Jahrestagung 2009 von Studium in Israel zum Thema: „Was bedeuten euch diese Steine?“ (Josua 4,6)


Pfr. Katja Kriener