Calvin über seinen Werdegang als Reformator

Eine Autobiografie im Vorwort aus dem Psalmenkommentar von 1557

Von Calvin selbst gibt es nur wenige Zeugnisse, in denen er Auskunft gibt, wie er selbst seinen Werdegang zum Reformator erlebt hat. Die wichtigste Passage aus dem Vorwort zum Psalmenkommentar drucken wir hier ab:

Calvins Vater
Schon als kleinen Knaben hatte mich mein Vater zum Theologen bestimmt. Als er aber sah, dass die Rechtswissenschaft ihre Jünger in der Regel reich macht, da veranlasste ihn diese Hoffnung zu einer plötzlichen Änderung seines Planes. Er rief mich vom Studium der Philosophie ab und schickte mich in das juristische Kolleg. Aus Gehorsam gegen ihn versuchte ich auch, allen Fleiß auf sie zu verwenden. Gott aber lenkte durch den verborgenen Zügel seiner Vorsehung meinen Lauf schließlich doch in eine andere Richtung.

Dem Aberglauben des Papsttums verfallen
Zuerst zwar war ich dem Aberglauben des Papsttums allzu tief verfallen und es war nicht leicht, mich aus diesem tiefen Schlamm herauszureißen. Dann aber machte sich Gott mein weit über mein Alter hinaus verhärtetes Herz durch eine plötzliche Bekehrung gefügig. Und als ich erst einmal etwas von wahrer Frömmigkeit geschmeckt hatte, überkam mich ein solcher Drang, hier Fortschritte zu machen, dass ich die anderen Studien zwar noch nicht gänzlich beiseite warf, sie aber doch wesentlich kühler betrieb.

Als Lehrer wider Willen
Und es war noch kein Jahr vergangen, da sammelten sich um mich, den Neuling und Anfänger, alle die, die nach reiner Lehre Verlangen trugen, um bei mir zu lernen. Meine linkische Natur und meine Vorliebe für Zurückgezogenheit und Muße ließen mich versuchen, in den Schatten zurückzutreten. Aber dieser Wunsch wurde mir nicht erfüllt. Im Gegenteil: Wohin ich floh, bildeten sich um mich Kreise von Lernbegierigen, als hielte ich öffentlich Schule. Kurz, während mir der Sinn nach nichts anderem stand als nach stiller Arbeit im Verborgenen, trieb mich Gott in den mannigfaltigsten Wendungen um und ließ mich nirgends zur Ruhe kommen, bis er mich schließlich, ganz gegen meine Neigung, ins hellste Licht zog.

Als Gelehrter und Schriftsteller im Exil
Ich verließ mein Vaterland und wich nach Deutschland, um in einem versteckten Winkel in Ruhe zu genießen, was ich stets ersehnt hatte und was mir doch so lange versagt worden war.
Aber siehe da, als ich nun wirklich unerkannt mich in Basel verborgen hielt, da verbrannte man in Frankreich eine größere Anzahl Evangelischer. Das rief in Deutschland große Entrüstung hervor, und um sie zu dämpfen, ließ man ein paar verlogene Schriften ausgehen des Inhalts, dass eine so harte Strafe nur Wiedertäufer und Aufständische treffe, die mit ihren widervernünftigen Wahnideen nicht nur die Religion, sondern auch die ganze staatliche Ordnung aus den Angeln höben. Dies wurde, wie ich erkannte, von den höfischen Ränkeschmieden zu dem Zweck behauptet, um durch falsche Anschuldigungen gegen die heiligen Märtyrer die Unwürdigkeit der an Unschuldigen begangenen Bluttat vergessen zu machen und um sich Freiheit zu verschaffen, in Zukunft ähnliche Gräuel zu begehen, ohne Regungen des Mitleids im Auslande fürchten zu müssen. Da wäre es unentschuldbare Treulosigkeit gewesen, hätte ich geschwiegen und nicht nach Kräften Widerspruch erhoben. Das wurde mir Anlass, meine »Institutio« herauszugeben. Er sollte einmal dazu dienen, meine Brüder, deren Tod kostbar war vor Gottes Angesicht, gegen ungerechte Schmähungen in Schutz zu nehmen. Zweitens aber sollte er für die vielen Unglücklichen, denen dieselben Strafen drohten, schmerzliche Besorgnis im Ausland erwecken. Doch ging damals noch nicht das eindringend durchgearbeitete Werk heraus, das jetzt diesen Titel trägt, sondern nur ein kurzes Handbuch und nur zu dem Zweck, Zeugnis abzulegen für den Glauben derer, denen von gottlosen und unehrlichen Schmeichlern verbrecherisch die Ehre abgeschnitten wurde.
Dass ich nicht die Absicht hatte, mir mit der Veröffentlichung des Buches einen Namen zu machen, geht daraus hervor, dass ich, obwohl damals noch niemand in mir den Verfasser vermutete, kurz darauf Basel verließ.

In Genf
Ich habe meine Urheberschaft auch anderswo immer verheimlicht und war gesonnen, das auch weiterhin zu tun, als mich Guillaume Farel in Genf festhielt, nicht durch einfaches Raten und Bitten, sondern durch eine furchtbare Beschwörung, in der gleichsam Gott selbst vom Himmel her gewaltsam seine Hand auf mich legte. Da mir durch den Krieg der gerade Weg nach Straßburg abgeschnitten war, hatte ich hier schnell durchreisen und mich nur eine Nacht in der Stadt aufhalten wollen. Kurz zuvor war hier durch das Wirken des wackeren Farel und durch Pierre Viret das Papsttum überwunden worden; aber die Verhältnisse waren noch ungeordnet und die Stadt zum Nachteil der Sache in Parteien zerspalten. Ein Mann, der jetzt in schimpflichem Abfall zu den Papisten zurückgekehrt ist, sorgte dafür, dass ich erkannt wurde. Da spannte dann Farel in dem verzehrenden Eifer um die Ausbreitung des Evangeliums, der ihn immer auszeichnete, alle seine Kräfte an, mich zurückzuhalten. Als er erfuhr, ich gebe mich in der Stille privaten Studien hin, und als er sah, dass er mit Bitten nichts ausrichte, brach er in die Verwünschung aus, Gott möge mit seinem Fluch über meiner Muße sein, wenn ich mich der Pflicht, in solcher Not Hilfe zu leisten, entzöge. Von dem Schrecken dieser Stunde erschüttert, gab ich meine Reise auf; jedoch verpflichtete ich mich, scheu und ängstlich, wie ich war, nicht für ein bestimmtes Amt.

Erste Kämpfe
Kaum waren vier Monate vergangen, als uns von der einen Seite her die Wiedertäufer angriffen, vom der anderen ein verbrecherischer Abtrünniger, der, gestützt auf die geheime Hilfe einiger Patrizier, uns viel Mühe machen konnte. Inzwischen hatten wir unter inneren Unruhen, die eine nach der anderen ausbrachen, schwer zu leiden. Ich mit meiner furchtsamen, weichen und ängstlichen Natur sah mich gleich in den ersten Anfängen meiner Tätigkeit so stürmischem Wellengang ausgeliefert. Zwar erlag ich ihm nicht, doch war mein Mut nicht so groß, dass ich nicht fast über das Erlaubte hinaus froh gewesen wäre, als man mich in stürmischen Formen vertrieb.

Lehrjahre in Straßburg
Und wieder wollte ich, von der Fessel der Berufung frei, privatim die Ruhe genießen. Da zwang mich der treffliche Diener Christi Martin Bucer mit einer Beschwörung, die der von Farel geübten glich, wiederum auf einen neuen Posten. Vom Beispiel des Jona, das er mir vorgehalten hatte, betroffen, versah ich weiterhin das Lehramt. Dann brachte man mich, obwohl ich mir stets gleich blieb und vor jedem Aufsehen erregenden Hervortreten nach wie vor zurückwich, ich weiß selbst nicht wie, auf die kaiserlichen Reichstage, wo ich, ich mochte wollen oder nicht, vor vielen auftreten musste.

Wieder in Genf
Später, als der Herr sich der Stadt Genf erbarmt, den verderblichen Zwist beigelegt und mit seiner starken Hand die verbrecherischen Pläne und blutigen Umsturzversuche vereitelt hatte, da sah ich mich gegen den Wunsch meines Herzens gezwungen, den alten Posten wieder einzunehmen. Denn mir lag zwar das Wohl dieser Gemeinde so sehr am Herzen, dass ich mich nicht geweigert hätte, um ihretwillen in den Tod zu gehen. Aber meine Furchtsamkeit legte mir alle möglichen Ausreden nahe, mit denen ich meine Abneigung, meinen Schultern wieder eine so schwere Last aufzubürden, vor mir selbst zu rechtfertigen versuchte. Schließlich aber siegte die Bindung an die Pflicht und Treue, und ich stellte mich der Gemeinde, von der man mich weggerissen hatte, wieder zur Verfügung – mit welcher Trauer, wie viel Tränen und welcher Angst, dafür ist Gott mein Zeuge und die vielen frommen Menschen, die mir auch die Freiheit von dieser Last gewünscht hätten, wenn nicht dieselbe Furcht, die mich drückte, auch sie gebunden hätte.

 


Achim Detmers
 

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