Gott zur Ehr, dem nächsten zur Wehr

Predigt zu Matthäus 22,37-40; Lukas 10,25-37; Matthäus 25,31-46


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Zum Anlass eines Feuerwehr-Jubiläums über ein Motto der Feuerwehr und drei Bibeltexte von Martin Braukmann, Pfr. in Oberfischbach

Gottesdienst Feuerwehrjubiläum 100 Jahre FFW Niederndorf (08.06.2008)

Liebe Feuerwehrmänner und –frauen.

Ich möchte euch beim Wort nehmen. In einem Festhinweis auf das Jubiläumstage in Niederndorf stand quasi als Zitat des Löschgruppenführers N.N. folgendes in der Zeitung: Das gilt noch immer bei uns. Gott zur Ehr, dem nächsten zur Wehr. Ich möchte Sie, euch beglückwünschen, wenn ihr diesen Leitspruch wirklich mitgenommen habt und mitnehmt in jeden Einsatz, in den ihr fahrt. Wenn das quasi als Stoßgebet zu Gott gerufen wird, bevor die Tore im Feuerwehrhaus sich öffnen, noch bevor der Schlüssel im Zündschloss gedreht wird.

Wenn wir uns im Fernsehen in den letzten Jahren manches Sommermärchen angeschaut haben, dann begegneten uns Sportlerteams, ob im Fußball oder beim Handball, die sich immer wieder aufeinander eingestimmt haben, sich Mut zusprachen und geeint aufs Spielfeld gingen. Aber zunächst haben sie sich gesammelt, im Kreis gestanden, und sich ihr Motto zugerufen.

Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr. Ich stelle mir eine Situation vor, wie sie alltäglich stattfinden kann. Die Funkmelder gehen, die Sirene lärmt, innerhalb weniger Minuten seid ihr Männer und Frauen der FFW im Gerätehaus. Aber bevor ihr euch in den Einsatz stürzt, vergewissert ihr euch eures Mottos, sprecht es euch zu, ruft und betet es zu Gott: Dir Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr. Und dann geht es los. Ich selbst jedenfalls mache es so, bevor ich in einen Einsatz der Notfallseelsorge fahre. Ich bringe das vor Gott. Ob noch zuhause am Schreibtisch oder unterwegs während der Autofahrt. Ich bete: Gott, gehe du mit. Sei du da, Schütze du und helfe du. Sei bei mir.

Das alte Feuerwehrmotto macht mir deutlich, dass es auf zwei Seiten, zwei Komponenten ankommt: Gott und die Menschen. Das Motto führt beides zusammen und beides gehört auch zusammen: Gottes Schutz und Segen und menschliches Handeln. Dazu fand ich folgende Geschichte: „Ein gläubiger Mann hat sich während einer Überschwemmung auf das Dach seines Hauses gerettet. Ein Feuerwehrmann kommt vorbei: „Steigen Sie ein, wir retten Sie!“ Der Mann antwortet: „Nein, Gott wird mich retten!“ Dann steht ihm das Wasser bis zu den Beinen. Ein zweites Feuerwehrboot kommt vorbei und will ihn retten: „Nein, Gott wird mich retten!“ Und noch ein drittes Boot kommt vorbei, als ihm das Wasser bis zum Halse steht. Aber der gläubige Mensch posaunt wieder hinaus: „Ich glaube fest an Gott, er wird mich hier herausholen!“ Dann schlagen die Wellen über ihm zusammen. Im Himmel angekommen, faucht er Petrus an: „Warum hat mich Gott nicht persönlich gerettet?“ Petrus antwortet gelassen: „Du Dummkopf, wir haben dir dreimal die Feuerwehr vorbei geschickt und du wolltest nicht ins Boot steigen!“

Manches kann man aus dieser Geschichte lernen. Ich möchte ein Moment aufgreifen: Gott wirkt durch Menschen in die Welt hinein. Der Gedanke sperrt sich vielleicht unserem Verstehen und Denken und doch glaube ich daran, dass Gott Menschen gebraucht. In der Begegnung, in der Hilfe von Menschen begegnet Gott und hilft Gott. Seid ihr Feuerwehrmänner und –frauen euch dessen bewusst?

Vielleicht stand bei euch zunächst ganz anderes im Fordergrund. Die kindliche Begeisterung für die Feuerwehr, dies sich später weiterentwickelthat. Die Sehnsucht nach Kameradschaft trat vielleicht nach vorne oder aber der Reiz des Risikos, die Begegnung mit der Gefahr. Daneben dann aber auch der entschiedene Wille, einem in Not geratenen Menschen zu helfen und beizustehen. Die Gründe, zur Feuerwehr zu gehen, sind bestimmt ganz vielfältig und breit gestreut und doch mag manches von dem, was ich erwähnt habe dabei auch vorkommen. Aber was ist davon noch übrig geblieben. Was trägt einen in diesem Dienst?

Gut, da gibt es auch die geselligen Momente; das Leben mit einer Gruppe von Menschen, die ähnlich denken. Da trinkt man mal nach einer Übung eine Flasche Bier zusammen. Und da setzt man sich ja auch wirklich ein positives Ziel, dass auch in der Öffentlichkeit großen Zuspruch und Anerkennung findet.

Doch dann gehen die Funkmelder und die Sirenen rufen in den Einsatz. Da verabschieden Frauen ihre Männer, Männer ihre Frauen und selbst manches Kind nimmt mit einem flauen Gefühl im Bauch Abschied vom davon stürmenden Papa. Da schießt das Adrenalin ins Blut und lässt das Herz schneller schlagen. Trotz allem Üben und Trainieren geht es doch zunächst hektisch zu. Da werden Funksprüche abgehört und erste Einsatzbefehle nach kurzer Beratung ausgesprochen. Und los geht’s. Banges Fragen und Unsicherheit lassen die erste Aufgeregtheit zurücktreten: Was wird uns erwarten? Wie sieht es da aus, wo wir hingerufen werden. Schnell stellt sich hoffentlich geübte Routine ein. Handgriffe sitzen, Abläufe sind eingeübt. Man ist mitten drin im Einsatz. Wie schön und erleichternd ist das Gefühl, wenn man dann später völlig erschöpft aber doch zufrieden Schläuche und Maschinen wieder einpacken kann und geht nach Hause. Doch dieses happy end stellt sich eben nicht immer ein. Es geht nicht immer glatt auf. Wirklich dramatisch und manchmal leider traumatisch wird es, wenn ihr als Helfer eigene Ohnmacht, Versagen, Zukurzkommen erleben müssen. Wenn ihr als Helfer hilflos seid oder werdet. Das tut unendlich weh.

Was ist, wenn in dem im Auto eingeklemmten Kind mir das Gesicht meines eigenen Kindes ins Bewusstsein schießt und mich bis in die Träume der Nacht verfolgt. Was ist, wenn ich den ohnmächtigen Schrei der Trauer erleben muss, den eine Frau beim Anblick ihres verstorbenen Mannes gen Himmel schreit. Was ist, wenn irgendein „Trigger“ mich mitten aus dem Leben reißt und mich in eine Situation zurück katapultiert, die doch schon Jahre zurück liegt, die verarbeitet und abgelegt schien. Aber diese Geräusche, diese Situation, dieser Geruch, dieses Bild schießen mich ab, als hätte jemand die Uhr zurückgedreht und ich stehe wieder mitten in der Situation, die ich fliehen und meiden möchte. Aber ich komme nicht raus. Da bin ich gelähmt vor Angst und nass vom kalten Schweiß. Ich komme nicht mehr zu Recht im Leben.

Liebe Feuerwehrmänner und –frauen, liebe Gemeinde. Wenn in diesen Tagen euer Jubiläum mit euch feiern, wenn wir fröhlich sind mit euch, dann soll wenigsten heute Morgen hier im Gottesdienst auch die dunkle Seite eures Dienstes ihren Raum finden können. Beides gehört für mich zusammen. Erfolg, Befriedigung, Zufriedenheit sie dürfen und müssen gefeiert werden, aber man braucht auch Raum, um seine Ohmacht, Angst und Zweifel zu bewältigen. Und das kann man nicht üben. Das kann man nicht trainieren und davor kann man sich nicht schützen. So sind wir in diesen Tagen noch einmal an das ICE-Unglück von Enschede erinnert worden. Mir persönlich geht dabei der Ausspruch eines Helfers nicht mehr aus dem Sinn. Er sagte etwa folgendes: Wer angesichts dieses Elends von Routine redet, der ist so kalt, der müsste Eiswürfel pinkeln können.

Liebe Feuerwehrkameraden und –kameradinnen. Ich möchte euch anhand von drei biblischen Geschichten etwas mit auf den Weg in euren Dienst geben; euch aber auch uns allen etwas mit auf den Weg geben, was denn euer Feuerwehrmotto mit Gott und den Menschen zu tun hat. Etwas, das hoffentlich tröstet, Mut zuspricht und gewiss macht.

1.) Gott lieben und den Nächsten wie sich selbst.

Jesus wird einmal gefragt, was den das höchsten Gebot sei. Dem fragenden Juden war natürlich (anders als uns) völlig klar, dass zunächst das erste Gebot gilt: Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus der Sklaverei geführt hat. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Dieses unterstreicht Jesus ausdrücklich. Aber er fügt dem ersten Gebot quasi als Kehrseite ein zweites bei. Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten.

Liebe Kameraden und Kameradinnen. Euer Feuerwehrmotto greift diesen Zusammenhang auf und deutet die Arbeit der Feuerwehr als ein verantwortliches Handeln vor Gott dem Schöpfer, der uns das Leben als kostbares und zu schützendes Gut anvertraut hat. Die Verantwortung vor Gott, die uns allen gilt und die Verantwortung für den Nächsten lassen sich nicht trennen und auseinanderreißen. Erfurcht vor Gott und Ehrfurcht vor dem Leben gehören zusammen. Das hat zum Beispiel Albert Schweitzer nach Lambarene, Afrika, getrieben. Man kann nicht Gott gerecht werden, wenn man die Not des Nächsten übersieht. Beide Seiten wollen bedacht sein. Immer da, wo nur eine Seite Beachtung findet und die andere verkürzt wird, wird man dem Anspruch Gottes nicht mehr gerecht. Weder die bloße Humanität noch der allein in sich gekehrte Glaube werden je für sich Gottes Anspruch an unser Leben alleine gerecht.

2.) Die Not des anderen sehen und zur eigenen Not machen.

Davon erzählt die bekannte Geschichte vom barmherzigen Samariter, die Jesus als Konkretion der Frage nach dem höchsten Gebot anfügt. Da liegt einer ausgeraubt und zusammengeschlagen im Straßengraben. Ein Priester und Levit kommen vorbei, aber sie gehen vorüber. Sie, die doch eigentlich um Gottes Nächstenliebe gebot wissen, sie gehen vorbei. Ganz anders der Samariter. Er sieht die Not, und er macht sie zu seiner Not. Darum geht es Jesus, wenn er die Geschichte erzählt. Die andren beiden hatten (und das wird leider nicht beachtet und bedacht) gute Gründe weiterzugehen. Sie würden kultisch unrein. Sie könnten nach ihrem Glauben nicht mehr in den Tempel, nicht mehr vor Gott treten. Sie glauben also richtig zu handeln, gottgemäß, aber so machen sie Gott zu einer lieblosen Fratze. Nein, Gott will das Leben. Er will es schützen. Das steht an erster Stelle. Danach kommt erst anderes. Im Sinne Jesu könnte man etwa folgendes sagen: Das Gute ist nur gut, wenn man es auch tut.

3.) Was ihr diesem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.

In seinem Gleichnis vom Weltgericht kann Jesus so ungeschützt und schnörkellos sagen: "Was ihr getan habt einem dieser Geringsten, das habt ihr mir getan." In den in Not geratenen Geschöpfen, in den bei Katastrophen und Notfällen Verletzten begegnen uns nicht einfach nur unsere Nächsten, die zu lieben uns Jesus geboten hat. In ihnen begegnet uns Gott selbst, der Schöpfer des Lebens. Aus den Augen der verzweifelten Opfer und der entsetzten Helfer / Helferinnen schaut uns Gott an. In der Not der in Notfälle Geratenen begegnet uns der Gott, der sich in Jesus Christus ganz auf unsere menschliche Not eingelassen hat. In den verzweifelten Schreien der Unfallopfer hören wir den verzweifelten Schrei des Gekreuzigten: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und im Sterben der Unfallopfer ist der gekreuzigte Gott selbst auf geheimnisvolle Weise anwesend. Diese Anwesenheit des gekreuzigten Gottes im Grauen einer Katastrophe glauben zu können, gibt dem Dienst der Helfenden seine letzte Tiefe und seinen ganz tiefen Sinn. Gott macht menschliches Leid, menschliche Not zu seiner Not. Er bleibt nicht davor stehen. Er geht nicht dran vorbei. Er begibt sich in Jesus in diese Not hinein. In Jesus und in den Menschen, die in seiner Nachfolge ihren Dienst am Nächsten tun.

4.) Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr.

Weil in dem Feuerwehrmotto nicht nur von meinem Nächsten, sondern auch von Gott die Rede ist, wird das, was wir tun, in einen größeren Zusammenhang gestellt. Es wird sozusagen über unserer menschliches Vermögen hinaus bei Gott verortet. Für den Dienst der Feuerwehr – und anderer Helfer – bedeutet das: wir können unsere Technik, unsere Einsatzpläne, unsere Dienstordnungen verbessern und perfektionieren – und wir sollen das auch - , aber dennoch haben wir letztlich nicht alles in der Hand, steht nicht alles in unserer Macht, kommen wir an Grenzen. Manches gelingt nur bruchstückhaft oder unvollkommen, trotz aller Anstrengung. Das bedeutet nun nicht, Gott springt dort ein, wo die Menschen nicht weiter wissen, versagen oder für den Moment keine Lösung haben. Er trägt nicht die Wassereimer von hier nach da. Das müssen wir selber tun.

Aber, liebe Feuerwehrleute - und andere Helfer: Gott ist mitten im Leben, in diesem Dienst bei euch: bei denen, die als erste am Unfallort sind und noch nicht wissen, was sie erwartet. Bei denen, die das Feuer in den Griff bekommen müssen, aber Angst haben, trotz aller Übung und Routine. Bei den Bergungsmannschaften, die noch nicht wissen, ob es gelingt, jemanden lebend aus einem Auto herauszuschneiden. Bei den freiwilligen Helfern, die sich in der Nacht vielleicht lieber umdrehen würden, statt sich einen Ruck zu geben, in die Stiefel zu springen und zum Feuerwehrhaus zu laufen.

Gott ist bei euch, wenn ihr euch freut, weil etwas gelungen ist. Wenn ihr erschöpft einen Einsatz überstanden habt, aber wohlbehalten und unversehrt seid. Gott ist auch für euch da, wenn ihr vielleicht einmal versagt habt, wenn ihr nur ein paar Minuten zu spät gekommen seid, wenn ein notwendiger Handgriff mal nicht gesessen hat oder wenn schreckliche Bilder in euch hochkommen. Das sind oft ganz persönliche Augenblicke, das ist nur ein Moment und in denen sich oft nicht gleich unterscheiden lässt, ob Gott ganz nah oder ganz weit weg ist. Aber Gott ist da. Er lässt sich von uns finden, denn er hat jeden von uns längst gefunden. Gott weiß um alles Menschliche und hat deshalb diesen Dienst gesegnet.

Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr. Heute an diesem Jubiläumstag ist das vor allem ein Grund zum Feiern und zum Dank sagen. Dank gegenüber Gott und Dank gegenüber den menschlichen Leistungen, die täglich vollbracht werden; Dank an euch Feuerwehrmänner und –frauen. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, er bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen

(Anmerkung: Teil 4 in Anlehnung an eine Predigt zum Thema von Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit)


Martin Braukmann, Pfr. in Oberfischbach