''Gott allein die Ehre!'' - Gottesdienst zur Eröffnung des Calvinjahres

Predigt, Gebete, Lieder aus dem Gottesdienst in Herford am 8. Februar 2009

© Andreas Olbrich

Was ist der Sinn des Lebens? - Gott als unseren Schöpfer zu erkennen und ihn im eigenen Leben zu verherrlichen, antwortet Calvin im Genfer Katechismus (1545).

Musik zu Beginn des Gottesdienstes: Lied „Gott ist gegenwärtig“ (EG 165,1.3.6.8)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde geschaffen hat, der seinen Bund und seine Treue auf ewig hält und der nicht preisgibt das Werk seiner Hände. Amen.

Begrüßung und Abkündigungen

„Gott allein die Ehre“ – dieses Motto trifft nicht nur den Wunsch, sondern auch das Bemühen des Reformators Johannes Calvin, an dessen 500. Geburtstag wir in diesem Jahr erinnern. Wer ist dieser Johannes Calvin? 1509 in Noyon geboren, 1564 in Genf verstorben. Wir geben uns ein Jahr Zeit, diesen Reformator näher kennen zu lernen, der in den meisten Hinterköpfen unserer Zeitgenossen ein ausgemergeltes Dasein fristet. „Kirchlicher Diktator!“, so das Urteil Meyers Konservationslexikon aus dem Jahre 1909. Und dieser begnadete Theologe Karl Barth sagt über ihn: „Calvin ist ein Wasserfall, ein Urwald, …, irgendetwas direkt vom Himalaja herunter …“ Wir werden uns in diesem Jahr selbst auf den Weg begeben und hoffentlich ganz viele Spuren entdecken, die unser Leben bereichern. Folgendes ist zunächst bekannt zu geben:

Wir wollen gemeinsam beten mit den Worten nach Psalm 31 (EG 715.1), der uns durch die kommende Woche begleiten will:

Eingangsgebet:

Was wir sind und haben,
sind und haben wir von dir,
unserem Schöpfer und Erlöser.
Dir verdanken wir unser Dasein.
Aber wir haben's vergessen und verdrängt,
was von dir kommt und dir nicht gedankt.
So bringen wir dir unsern Undank,
unsere leeren Herzen,
unser Unwesen.
Lehre mich danken für das,
was ich mit den Augen sehe,
mit den Ohren höre,
mit dem Gaumen schmecke,
mit der Nase rieche,
mit der Haut spüre.
Lehre mich danken für das Unsichtbare,
das ich schon im Sichtbaren erfahre.
So legen wir unser Leben in deine Hände,
denn nur so können wir getrost einstimmen
in den Lobpreis deines Namens. Amen.

Lobpreis: „Ich lobe meinen Gott“ (EG 272)

LektorInnen:

I: Die Lesung für den heutigen Sonntag ist dem 1. Korintherbrief entnommen. Wenn es ein biblisches Wort gab, dass Johannes Calvin überaus geschätzt hat, dann das Folgende: Gott hat es aber gefügt, dass ihr in Christus Jesus seid, der unsere Weisheit wurde, dank Gott, unsere Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung. Dieses Wort steht im 1. Korintherbrief im 1. Kapitel. In dem Abschnitt geht es Paulus um den Unterschied zwischen der Weisheit der Welt und der Weisheit des Glaubens und er benennt direkt zu Beginn das Paradox des christlichen Glaubens.

II: Denn das Wort vom Kreuz ist Torheit für die, die verloren gehen, für die aber, die gerettet werden, für uns, ist es Gottes Kraft. Es steht nämlich geschrieben: Zunichte machen werde ich die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen werde ich verwerfen.
Wo bleibt da ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer dieser Weltzeit? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?
Denn da die Welt, umgeben von Gottes Weisheit, auf dem Weg der Weisheit Gott nicht erkannte, gefiel es Gott, durch die Torheit der Verkündigung jene zu retten, die glauben. Während die Juden Zeichen fordern und die Griechen Weisheit suchen, verkündigen wir Christus den Gekreuzigten  für die Juden ein Ärgernis, für die Heiden eine Torheit, für die aber, die berufen sind, Juden wie Griechen, Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.
Denn das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen.
Schaut doch auf eure Berufung, liebe Brüder und Schwestern: Da sind in den Augen der Welt nicht viele Weise, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme. Im Gegenteil: Das Törichte dieser Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zu beschämen, und das Schwache dieser Welt hat Gott erwählt, um das Starke zu beschämen, und das Geringe dieser Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts gilt, um zunichte zu machen, was etwas gilt, damit kein Mensch sich rühme vor Gott. Gott hat es aber gefügt, dass ihr in Christus Jesus seid, der unsere Weisheit wurde, dank Gott, unsere Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung. Wer sich rühme, der rühme sich des Herrn!

I: Für Calvin gehören Glaube und Weisheit unmittelbar zusammen. Beides, der Glaube und die Weisheit, sind Ergebnisse unseres Erkennens. So schreibt er in seinem Glaubensbuch, in seinem Unterrichtsbuch zur christlichen Religion, der Institutio religionis christianae:

All unsere Weisheit, sofern sie wirklich den Namen Weisheit verdient und wahr und zuverlässig ist, umfasst im Grunde eigentlich zweierlei: die Erkenntnis Gottes und unsere Selbsterkenntnis. Diese beiden aber hängen vielfältig zusammen, und darum ist es nun doch nicht so einfach zu sagen, welche denn an erster Stelle steht und die andere aus sich heraus bewirkt. Es kann nämlich erstens kein Mensch sich selbst betrachten, ohne sogleich seine Sinne darauf zu richten, Gott anzuschauen, in dem er doch »lebt und webt« (Apg 17,28). Denn all die Gaben, die unseren Besitz ausmachen, haben wir ja offenkundig gar nicht von uns selber. Ja, selbst unser Dasein als Menschen besteht doch nur darin, dass wir unser Wesen in dem einigen Gott haben! Und zweitens kommen ja diese Gaben wie Regentropfen vom Himmel zu uns hernieder, und sie leiten uns wie Bächlein zur Quelle hin. (Inst. I,1)

Für Calvin ist klar: wir können ohne Gott nicht menschlich sein und Gott will nicht ohne uns sein. Nur der Mensch versteht sich selbst, der sich als geliebtes, aber eben auch in Schuld verstricktes Kind Gottes sieht. Gott als Liebender und ich als Geliebte – wer das begreift ist nicht nur weise, sondern auch von Freude und Dankbarkeit erfüllt. So hat Calvin ausdrücklich betont, dass wir die Dinge, die Gott uns schenkt, auch genießen dürfen: die Schönheit der Natur, die Eleganz der Kleidung, den Geschmack des Weins, der uns fröhlich macht, den Genuss guten Essens und die Wohltat aromatischer Öl, die unsere Haut schön macht. Calvin war jemand, der gerne andere Menschen um sich gehabt hat. Jederzeit stand sein Haus Flüchtlingen, Freunden und Studenten offen. Oft lebten bis zu zehn, zwölf Personen in seinem Haus und wurden von ihm versorgt.

II: Calvin konnte nicht das Leben als Gelehrter führen, dass er sich wünschte. Viele Schicksalsschläge musste er hinnehmen: den Tod seiner Frau, seines Kindes und vieler guter Freunde. Er war bewegt von der ständigen Sorge um das Leben seiner Studenten, die als Pfarrer nach Frankreich entsandt worden waren; Krankheiten quälten ihn sein Leben lang und hinzu kam das unsichere Leben als Migrant im fremden Land. Auf diesem Hintergrund leuchtet sein Lobgesang auf Gottes Güte besonders hell und farbenfroh. Denn die höchste Form der Weisheit ist das Gotteslob, das Rühmen Gottes: Gott allein die Ehre. Zu fast allen biblischen Büchern hat Calvin Auslegungen, Kommentare geschrieben. In seiner Auslegung zu dieser Stelle im Korintherbrief schreibt Calvin:

Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn. Das ist das Ziel der Güte Gottes in Christus, dass wir nicht mehr uns selbst rühmen, sondern ihm allein Ruhm darbringen. Gott nimmt uns freilich nicht unseren Ruhm, um uns nackt und bloß hinzustellen: Er bekleidet uns vielmehr mit seinem Ruhm, so dass all unser Ruhm sein Ruhm ist. Das macht das Wort des Jeremia deutlich: Gott hat den Menschen ihre Macht, Weisheit und Ehre genommen; nun sollen sie sich seiner Erkenntnis rühmen, das heißt der Erkenntnis, dass wir bei Gott Gericht, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit finden. Aus dieser Erkenntnis erwächst uns Vertrauen und Ehrfurcht vor Gott. Wer nicht mehr eigene, sondern Gottes Ehre sucht, wer in seiner Gnade ruht und in seiner Vaterliebe alle Seligkeit findet und mit Gott allein zufrieden ist, der rühmt sich in Wahrheit des Herrn.

I: Wenn wir uns in Erinnerung rufen, welche Bilder uns beim Nachdenken über Calvin vor Augen kommen, dann sind es oft asketische, durch Krankheit und Strenge geprägte Eindrücke. Doch es gilt, einen anderen Calvin kennenzulernen, die Augen zu öffnen für eine völlig unbekannte Seite dieses Menschen: die des Seelsorgers Johannes Calvin. Er hat unzählige Briefe geschrieben, um seinen Landsleuten beizustehen, die in Frankreich verfolgt und ermordet wurde. Doch in gleicher Weise hat er sich um den je Einzelnen gekümmert. Calvin berichtet bei einem Besuch von folgender Sterbebegleitung eines Pestkranken am 20. August 1538:

„Gestern waren wir lange bei ihm. Da schon sichere Anzeichen des kommenden Todes da waren, spendete ich ihm Trost mehr für die Seele als für den Leib. Er redete schon ein wenig irre, doch noch nicht sehr, denn er rief mich wieder in seine Kammer zurück und ersuchte mich, für ihn zu beten, er hatte mich nämlich von der Frucht des Gebets reden hören.“

II: Oder um ein anderes Beispiel zu nennen. Calvin schreibt an die Evangelischen in Frankreich am 24. Juli 1547:

Hütet Euch wohl, zurückzuweichen, sondern dringt vielmehr vorwärts, und lasst das Gut, das Gott Euch anvertraut hat, wuchern, indem Ihr einer den andern, und überhaupt alle die armen Schwachen und Unwissenden, durch Euer gutes Leben erbaut und durch dasselbe Mittel die Feinde beschämt. Wenn Ihr das tut, werdet Ihr über Euch spüren die Hand Gottes, den ich bitte, in Euch mehren zu wollen die Gnadengaben, die er Euch verliehen, Euch stark zu machen in wahrer Standhaftigkeit, Euch zu behüten mitten unter Hunden und Wölfen, und sich an Euch in jeder Weise zu verherrlichen. Zugleich anempfehle ich mich herzlich Eurer Fürbitte.

Gott allein die Ehre! Dieses Wort gilt auch und vor allem angesichts des Tods. In seinem Unterrichtsbuch schreibt er (III,9,3):

„Wir haben noch viel mehr Ursache zum Danken, wenn wir erwägen, dass wir in diesem Leben gewissermaßen auf die Herrlichkeit des Himmelreichs vorbereitet werden. Denn der Herr hat es so geordnet, dass die, welche einst im Himmel gekrönt werden sollen, zuvor auf Erden Kämpfe bestehen, damit sie nicht triumphieren, ohne die Schwierigkeiten des Krieges überstanden und den Sieg erfochten zu haben. Dazu kommt noch eine weitere Ursache [zum Danken]: Wir fangen schon in diesem Leben unter gar vielerlei Wohltaten an, die Süße der Güte Gottes zu schmecken, und dadurch soll unsere Hoffnung und unser Verlangen geschärft werden, ihre völlige Offenbarung zu erwarten. Es steht also fest, dass unser irdisches Dasein, wie wir es leben, eine Gabe der göttlichen Freundlichkeit ist, um derentwillen wir Gott verpflichtet sind und demgemäß auch an ihn gedenken und ihm dankbar sein müssen.“

Lied: „Mein ganzes Herz erhebet dich“ (EG 634)

LektorIn: Glaubensbekenntnis | Kollektenhinweis

Lied: „Gib Frieden, Herr, gib Frieden“ (EG 430)

Predigt
Gnade sei mit uns und Frieden von dem, der da war, der da ist und der da sein wird. Amen.

Liebe Gemeinde!

500 Jahre Johannes Calvin! Solche Jahre und Jubiläen laden immer dazu ein, sich intensiver mit einer bestimmten Person aus der Geschichte zu beschäftigen. Ihn kennenzulernen. Sich einfinden in sein Denken und in sein Verstehen. In seine Lebenswelt und was diese Lebenswelt für ihn bedeutet hat. Das Zeitalter der Reformation: es ist ein Zeitalter der Umbrüche. Die westliche Welt löst sich schrittweise aus Mittelalter und Feudalsystem und öffnet sich neuen Horizonten: humanistisches, auf das Individuum und dessen Entfaltung zentriertes Denken; Renaissance im Bereich der Künste; Erforschung des Planeten Erde im Gefolge von Christoph Columbus und weiteren großen Entdeckern; neue Einsichten in die Natur und deren Stellung im Universum dank Fortschritten in Wissenschaft und Technik; Aufkommen von Bürgertum und Marktwirtschaft.

Die Fülle neuen Wissens und neuer Ideen wird sich in beispielloser Weise verbreiten, dank Gutenbergs Erfindung der Typografie, das Prinzip der Druckkunst selbst war in China längst bekannt in den letzten 20 Jahren haben wir Ähnliches erlebt durch das www, das worldwideweb. Entscheidend sind die neuen Möglichkeiten der Informationsverbreitung. Eine Bewegung, die auch Revolte gegen Machtmissbrauch und moralische Dekadenz der religiösen und weltlichen Herrscher und ihrer Höfe ist, erhält daraus ihren Schub. Noch ist es ein weiter Weg zu Republik, Demokratie, liberalen und sozialen Regierungsformen, aber die Keime dazu werden in dieser Epoche gelegt...

Das Calvin  Jubiläum lädt ein zu fragen, ob wir damals gewonnene Erkenntnisse und Einsichten für unseren Alltag fruchtbar machen. Am kommenden Donnerstag werden wir einen genaueren Blick auf das Leben und Wirken Calvins werfen. Doch so viel sei heute an dieser Stelle schon gesagt: Calvin ist aus heutiger Sicht betrachtet der wohl bedeutendste Reformator. Ihm verdanken wir in Zusammenarbeit mit dem französischen Dichter Clément Marot eines der ersten evangelischen Gesangbücher. Noch im heutigen Gesangbuch finden wir seine Psalmvertonungen und eine davon haben wir vorhin gesungen: Mein ganzes Herz erhebet dich. Er verfasste die erste ausgeführte Glaubenslehre des Protestantismus. „Unterricht in der christlichen Religion“ – so nennt er dieses Werk, das sich zunächst an Luthers Kleinem Katechismus anlehnt und doch sehr schnell ein ganz eigenes und selbstständiges Werk wird.

Das gemeinsame Verständnis über das Abendmahl der reformierten Positionen im Consensus Tigurinus 1549, die Einigung zwischen Calvin und Bullinger dem Nachfolger Zwinglis – Zwingli war 18 Jahre vorher in der Schlacht bei Kappel gefallen , nötigt die lutherischen Amtsgeschwister zu einer Klärung ihrer Positionen. Kircheninsider wissen, dass es eine gemeinsame Verständigung zum Thema Abendmahl, Kanzelgemeinschaft und Amtsverständnis zwischen Reformierten und Lutheraner und den je unterschiedlichen Geschwisterkirchen erst 1973 auf dem Leuenberg bei Basel gegeben hat, in der so genannten Leuenberger Konkordie, abgedruckt im Gesangbuch auf den Seiten 1381 ff.

Calvin verbot – man höre und staune! – das überzogene Zinsnehmen und – und man höre und staune noch mehr!!! – das in Genf eingeführte Recht auf Arbeit garantierte allen dort lebenden Bürgern ein geregeltes Einkommen. Calvin war sich darüber im Klaren, dass der gelebte christliche Glaube Auswirkungen auf den Alltag hat und er wollte diesen Gottesdienst im Alltag der Welt – so wie es der Apostel Paulus Jahrhunderte vorher in seinem Römerbrief geschrieben hatte: „Bringt euch selbst dar als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer – dies sei euer vernünftiger Gottesdienst!“ (Röm 12,1) Er wollte diesen Gottesdienst und keinen Gottesstaat.

Calvin war alles andere als ein politisch interessierter Revolutionär, der mit aller Macht hier auf Erden einen Gottesstaat errichten wollte, sondern ein tiefgläubiger Mensch, der in seinem Leben nur einen Wunsch hatte: ein Leben zu führen, das der Heiligkeit Gottes entsprach  in dem Wissen darum, dass die Heiligkeit Gottes größer ist als alles andere. Dass Menschen, so sehr sie sich auch mühen, immer auf die Vergebung und die Gnade Gottes angewiesen sind, weil diese Heiligkeit uns zwar immer vor Augen steht, sie aber erst dann Wirklichkeit und Wahrheit für uns wird, wenn wir Gottes Angesicht von Angesicht zu Angesicht schauen. Calvin: er wollte keine Politik machen, doch er wusste, wenn er seinen Glauben in aller Konsequenz lebte, wird dies Auswirkungen auf das gesellschaftliche und politische Leben haben, weil der gelebte Glaube den gewöhnlichen Alltag verändert. Gott allein wollte er in seinem Leben die Ehre geben. Dazu wusste er sich von Gott berufen, prädestiniert. Gott allein die Ehre.

Wir haben vorhin in der Lesung den Bibelvers aus dem 1. Korintherbrief gehört, der ihn wohl Zeit seines Lebens begleitet hat: „Gott hat es aber gefügt, dass ihr in Christus Jesus seid, der unsere Weisheit wurde, dank Gott, unsre Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung.“ Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung: diese Begriffe sind theologische Schlüsselbegriffe. Um das rechte Verständnis dieser Begriffe ist in der Reformationszeit ohne Ende gerungen worden. Denken wir an die Frage Luthers: „Wie bekomme ich einen gnädigen, einen gerechten Gott?“ Und dann spielt die Gerechtigkeit Gottes eine große Rolle. Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt und uns Menschen vor Gott gerecht sein lässt. Und diese Frage ist interessanterweise auch für heutige Menschen wieder aktuell. Denn hinter diesem Suchen nach Religiosität, das wir an so vielen Stellen erleben, steht auch die Frage nach Gerechtigkeit, nach Leben. So sagte mir ein Mensch in den 40iger Jahren bei seinem Aufnahmegespräch in die Kirche hinein: „Als ich aus der Kirche ausgetreten bin, so mit 20 Jahren, war mir die Kirche und der Glaube völlig nebensächlich geworden. Jetzt, wo ich älter werde, denke ich nach über das Thema Tod und Gerechtigkeit und ein gutes Leben zu führen. Und ich stelle fest, dass ein gutes Leben führen etwas anderes ist als Essen und Trinken. Mir fehlen Werte.“

In seiner Auslegung zum 1. Korintherbrief, entstanden in den Jahren 1546/1547, also in der Zeit des zweiten Aufenthalts in Genf, schreibt Calvin zu dieser Bibelstelle und wir werden es nun so machen, dass wir Sequenzen hören und sie uns auslegen.

„ … Weil es immer wieder Menschen gibt, die zwar Gott nicht ganz verlassen wollen, die aber doch immer noch etwas neben Christus suchen, als hätten sie in ihm nicht alles, darum zählt Paulus nun die Schätze auf, die wir in Christus haben, und lehrt uns damit, wie wir in ihm bleiben sollen.“

Trifft dies nicht auch unsere Wirklichkeit? Wir suchen Halt, möchten den Glauben an Gott nicht ganz lassen, suchen ihn vielleicht sogar, aber es gibt so viele Dinge, die uns neben dem Glauben so wichtig sind, so viele Dinge, die sich in den Mittelpunkt drängen. Calvin gründet in seinem Leben auf ein scheinbar unerschütterliches Gottesvertrauen. Denken wir an die vorhin gehörten Texte. Er hat, auch wenn er sich selbst nie ausführlicher dazu geäußert hat, ein Bekehrungserlebnis gehabt, das ihn  „erfüllt hat vom Geschmack an wahrer Frömmigkeit“ (Psalmenkommentar / Vorrede) – die Augen geöffnet hat. Calvin, nach dem Grund und dem Sinn des Lebens gefragt, würde so antworten, wie er es in seinem Genfer Katechismus (1545) getan hat. Der Katechismus beginnt mit der Frage: „Was ist der Sinn des menschlichen Lebens?“ Und er antwortet: „Die Erkenntnis Gottes, unseres Schöpfers.“ Frage 2: „Aus welchem Grund sagst du dies?“ Antwort: „Er hat uns ja geschaffen und in diese Welt gestellt, um in uns verherrlicht zu werden. So ist es nichts als recht und billig, dass unser Leben, …, wiederum seiner Verherrlichung diene.“ Gott will in uns verherrlicht werden und unser Leben dient der Verherrlichung Gottes.

Würden wir Menschen heute anders leben, wenn wir unsere Gaben und Begabungen, unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten in diesem Licht der Herrlichkeit Gottes sehen? Wenn wir all dies als Geschenk aus der Hand Gottes sähen? Wenn wir uns aufmachten, für die Verherrlichung Gottes zu leben? Wie anders würden wir leben, wenn wir nicht ständig uns in den Mittelpunkt des Geschehens rückten, sondern Gott.

„Christus ist uns von Gott zur Weisheit gemacht: In ihm haben wir die vollkommene Weisheit; Gott hat sich in ihm uns ganz offenbart. Darum brauchen wir außer ihn nichts mehr zu suchen, denn in ihm liegen alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen (Kol. 2, 3).“

Weisheit und Erkenntnis spielen für Calvin und für seinen Glauben eine große Rolle. Glauben ist darum für Calvin nicht ein Fürwahrhalten, sondern immer ein Erkennen – ein Erkennen von Zusammenhängen und Sachverhalten. Die größte Weisheit ist für ihn zweierlei: die Erkenntnis Gottes und unsere Selbsterkenntnis. Die Erkenntnis Gottes führt uns Menschen in eine tiefe Dankbarkeit Gott gegenüber, aus der heraus wir für unsere Mitmenschen da sind. Diese Erkenntnis gewinnen wir aus der Betrachtung der Person Jesu Christi, der eben ganz Mensch und ganz wahrer Gott für uns wurde. Mehr noch:

„Er ist uns zur Gerechtigkeit gemacht: In seinem Namen sind wir von Gott angenommen, denn er hat unsere Sünde durch seinen Tod getilgt, und sein Gehorsam wird uns zur Gerechtigkeit gerechnet. Denn wenn Gerechtigkeit aus Glauben in der Vergebung der Sünden und in der gnädigen Annahme vor Gott besteht, so haben wir in Christus beides.“

Es ist, liebe Gemeinde, diese Glaubensgewissheit, die manchem Unbehagen bereitet. Wir lesen kein Futur: „in seinem Namen werden wir von Gott angenommen werden“, was ja immer noch eine andere Möglichkeit beinhaltet, sondern wir lesen: „wir sind von Gott angenommen.“ Und die Gerechtigkeit aus Glauben besteht in der Vergebung der Sünden. Es ist geschehen. Es ist nicht nur diese Glaubensgewissheit, sondern eben auch die Heilsgewissheit, die in diesen Worten zum Ausdruck kommt. Das Heil, der Frieden Gottes ist da. Wir müssen ihn nur mit Herz und Verstand „be-greifen“.

Versetzen wir uns einen kurzen Moment in die Zeit des Mittelalters zurück: es herrschte Angst vor dem, was kommt. Der Glaube an das Fegefeuer war lebendig und dann treten Menschen wie Calvin auf und glaubend bekennen sie: Du hast Gottes Vergebung und Annahme in Christus. Dies war ein Befreiungsschlag ohnegleichen. Und heute: Haben wir Angst vor dem, was kommt? Angst vor dem Gericht Gottes? Denken wir darüber nach, was wir richtig und was wir falsch machen? Dieser Freispruch ist ein billiger Freispruch, wenn er das Kreuz Christi außen vorlässt. Es ist dann ein ernstgemeinter Freispruch, wenn er in uns Heiligung, ein Gott gefälliges Leben bewirkt.

Er ist uns zur Heiligung gemacht: Wir, die wir von Natur unheilig sind, werden durch seinen Geist zur Heiligung wiedergeboren, damit wir Gott dienen. Wir können nicht durch die Gnade aus Glauben gerechtfertigt werden, wenn wir nicht auch heilig leben. Die Gerechtigkeit und die Heiligung sind eng miteinander verknüpft; wer sie trennen will, zerreißt gleichsam Christus selbst. Wer durch Christus vor Gott aus Gnaden gerecht gesprochen werden will, muss Christus auch zur Heiligung annehmen. Er muss durch seinen Geist wiedergeboren werden zu einem heiligen und reinen Leben. Es ist eine Verleumdung, wenn man uns nachsagt, wir würden die Gerechtigkeit allein aus Glauben predigen und damit die Menschen von den guten Werken abhalten. Denn der Glaube umfasst beides, die Wiedergeburt in Christus und die Vergebung der Sünden. Wir würden aber Paulus verdrehen, wenn wir Gerechtigkeit und Heiligkeit miteinander vermischen würden, anstatt sie wie er voneinander zu unterscheiden.

Die Gerechtigkeit und die Heiligung des Lebens sind eng miteinander verknüpft. Unsere Heiligung ist unsere Antwort auf die Gerechtigkeit Gottes, die uns eigentlich unverdientermaßen zugute kommt. Calvin fasst sehr konkret, was er unter Heiligung versteht: es ist ein Leben gemäß den zehn Geboten. Ich selbst bin immer wieder aufs Neue überrascht, mit welchen Konsequenzen Calvin gerade die 10 Gebote auslegt. In seiner Auslegung gibt es keinen Bereich des menschlichen Lebens, in denen diese zehn Gebote nicht zum Tragen kommen. Unser Christsein hat sich im Alltag zu bewähren. Oder um es umgekehrt zu sagen: wenn der christlich gelebte Glaube nicht im Alltag sichtbar wird, ist er noch nicht ausgereift und wartet auf Erlösung.

Er ist uns zur Erlösung gemacht: Durch ihn sind wir von der Knechtschaft der Sünde und allem Elend, das daraus folgt, befreit. Die Erlösung ist Anfang und Ziel unseres Lebens: Die Befreiung von Sünde und Tod ist der Beginn unseres Heils, und doch seufzen wir bis zum Tag der Auferstehung nach der Erlösung, .... Christus ist unsere Erlösung, weil er sich selbst zum Lösegeld für uns gegeben hat. Alle diese Gaben sollen wir allein und ganz bei Christus suchen, denn Paulus sagt nicht, Christus fülle nur die Lücken unserer eigenen Gerechtigkeit, Heiligung, Weisheit und Erlösung aus. Wir glauben allein an Christus, und wer Christi Gaben recht erkennt, der weiß, was Glauben heißt.

Wer Christi Gaben recht erkennt, weiß, was Glauben heißt. Ich wünsche uns für dieses Jahr, dass wir mit Hilfe von Calvin der Erkenntnis Gottes ein Stück näher kommen – um unseretwillen und um Gottes Willen, denn ihm allein gebührt die Ehre. Amen.

Lied: „Freuet euch der schönen Erde“ (EG 510,15)

Fürbitten – Vaterunser – Segen
Du Christus Jesus, hast auch unser Leben aus dem Grab gebracht.
0 lass es nicht unbelichtet im Dämmer und im Dunkeln.
Dein Evangelium erleuchte uns, brenne in unsern Herzen und verzehre alles Tötelige,
den Sorgengeist, das Selbstmitleid, die Ungeduld, den Hochmut und den Trübsinn.
Mach uns stark in den Widrigkeiten des Alltags,
dass wir vergeben denen, die uns wehtun und denen wohl tun, die uns fremd sind.
Bleibe mit deinem Wort und Geist in unseren Herzen,
dass auf unserem Ackerlein Frucht wachse für dein Reich.
Wir bitten für alle, die noch nicht im Licht leben,
für Eltern, die an ihren Kindern leiden, für Junge, denen Unrecht geschieht,
für Kranke und Sterbende,
für zu kurz Gekommene, Benachteiligte und Betrübte,
dass wir ihnen ein wenig Heiterkeit bringen als Vorschein deines Lichtes.
Und all das, was wir sonst in unseren Herzen bewegen und in unseren Gedanken beschäftigen, legen wir hinein in das Gebet des Herrn …

Lied: „Zieht in Frieden eure Pfade“ (EG 258) Musik zu Ende des Gottesdienstes


Pfr. Wolfram Kötter, Ev. reformierte PetriKirchengemeinde Herford
 

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