Ich lobe dich von ganzer Seelen - EG 250

Das Wochenlied zum 2. Sonntag nach Trinitatis. Ein Impuls von Sylvia Bukowski


Foto: Patrick Moore / freeimages.com

... Wer traut sich dagegen überhaupt noch zuzugeben, Zeit zu haben, keine Hektik, keinen überbordenden Terminkalender? ...

Viele GottesdienstbesucherInnen wird vor allem die 2. Strophe aus dem Herzen sprechen, wo es heißt: „Du rufest auch noch heutzutage, dass jedermann erscheinen soll; man höret immer deine Klage, dass nicht dein Haus will werden voll...“. Viele Gemeinden bemühen sich redlich, mit einem abwechslungsreichen Programm Menschen in den Gottesdienst einzuladen, manchmal durchaus mit Erfolg. Die Frage der Nachhaltigkeit bleibt. Und dazu kommt noch eine wesentlichere: Was versäumen Menschen eigentlich, wenn sie nicht in den Gottesdienst kommen?

Ich singe am liebsten die 3. Strophe: „Du, Gott, hast dir aus vielen Zungen der Völker eine Kirch gemacht. Darinnen wird dein Lob gesungen, in einer wunderschönen Pracht...“ Ich denke dabei an die vielen bewegten und bewegenden Gottesdienste im globalen Süden, die ich erlebt habe. Es ist ermutigend, über den eigenen Horizont hinauszublicken und zu entdecken, dass die Kirche insgesamt keineswegs auf verlorenem Posten steht, wie es bei uns manchmal den Anschein haben kann. Wenn ich von unserer kirchlichen Situation berichtet habe, waren die HörerInnen tief erschüttert. Niemand konnte fassen, dass z.B. in Wuppertal, dem Sitz der VEM (Vereinten Evangelischen Mission) in den letzten 25 Jahren ca. 30 Kirchen geschlossen und verkauft werden mussten. Aber sie haben versprochen, umso inniger für uns zu beten.

Die 4. Strophe trifft mich sehr existentiell. Theologisch bejahe ich natürlich den Satz: „Wir woll`n uns nicht auf Werke gründen, weil doch kein Mensch vor Gott gerecht...“

Aber seit ich im Ruhestand bin, merke ich wie sehr diese theologische Wahrheit dem eigenen Lebensgefühl entgegensteht, wie wichtig es ist, für das eigene Selbstwertgefühl und für den Umgang mit anderen etwas vorzuweisen zu haben. Der Stress, über den so viele Berufstätige klagen, und den auch RentnerInnen manchmal anführen, scheint mir unter anderem auch ein wichtiges Statussymbol geworden zu sein: schaut, wie wichtig ich bin, wie dringend benötigt, und was ich alles schaffe! Wer traut sich dagegen überhaupt noch zuzugeben, Zeit zu haben, keine Hektik, keinen überbordenden Terminkalender?

„Wir woll`n uns nicht auf Werke gründen...“ und tun es doch – auch, vielleicht sogar gerade in der Kirche. Wie kann also die Wahrheit der Gnade, aus der wir leben, von einer theologischen Behauptung zu wirksamer Seelsorge werden, an denen, die sich über ihre Grenzen hinweg betätigen, aber auch an denen, die sich unnütz und überflüssig fühlen, weil sie keine großartigen  Werke vorzuweisen haben?

Sylvia Bukowski, 29. Juni 2014